Zunehmende Gewalt: Selbstverteidigungskurse im Krankenhaus – Immer mehr Patienten rasten aus.
Von Daniel Weinmann
Gewalt, Einschüchterungen, Drohungen und Beschimpfungen sind in den Krankenhäusern vermehrt an der Tagesordnung. Neben kulturellen Differenzen sind es vor allem die personellen Engpässe in der medizinischen Versorgung und die damit verbundenen langen Wartezeiten, die Unzufriedenheit mit der Behandlung und Verständigungsprobleme, die das aggressive Auftreten der Patienten begünstigen. Betroffen sind vor allem Rettungsdienstmitarbeiter, aber immer mehr auch Krankenpfleger und das „normale“ Klinikpersonal.
Im Evangelischen Krankenhaus Oldenburg berichten aktuell neun von zehn Mitarbeitern, mindestens einmal im Monat verbal angegangen zu werden. Die bizarre Folge: Die Klinik bietet ihrem Personal Selbstverteidigungskurse an. Sämtliche 1900 Beschäftigten können an den Kursen teilnehmen.
Für Thomas Henke, der die zentrale Notaufnahme leitet, ist es wichtig, dass sich alle im Team der möglichen Gefahr bewusst sind. „Es gehört zu unserem Arbeitsbild, dass eben auch Patienten und Angehörige hier auftauchen, die von jetzt auf gleich uns gegenüber aggressiv werden können“, sagt der Mediziner, „und dass Grenzen sehr schnell über überschritten werden, sodass wir beim Übergriff sind.
Dies sei eine Spirale, die sich losdrehe und die vorher schwierig auszumachen sei. „Wir müssen uns einfach darauf vorbereiten, dass das zu unserem Berufsbild in einer Notaufnahme heutzutage leider Gottes gehört“, sagt Henke. Wenn eine Situation zu eskalieren droht, rufen die Mitarbeiter künftig frühzeitig die Polizei.
Das Krankenhaus hat eigens eine Deeskalationstrainerin engagiert. „Am wichtigsten ist mir eigentlich, dass wir uns in unserem Arbeitsbereich wieder ein bisschen sicherer fühlen können“, unterstreicht Christin Schröder. Oldenburg ist nur eines von vielen Beispielen.
Auch das CaritasKlinikum Saarbrücken bietet zweitätige Deeskalationstrainings an. Mit Sätzen wie „Jetzt regen Sie sich mal nicht so auf“ oder „Jetzt beruhigen Sie sich mal“, gieße man nur Öl ins Feuer, sagt Maik Burghardt, der dort Deeskalationstrainer und Erstbetreuer in Personalunion ist. Zudem solle man einen Sicherheitsabstand bewahren.
Fragt sich, wie sich die angespannte Personalsituation in den Krankenhäusern angesichts von Ratschlägen wie diesen entspannen soll. „Holen Sie sich Hilfe, wenn der Patient handgreiflich wird, bringen Sie erst die anderen Patienten in Sicherheit, dann sich selbst“, empfiehlt Burghardt. Sei eine Flucht nicht möglich, könne es für den Moment helfen, eine Barriere zwischen sich und den Patienten aufzubauen. „Sie können beispielsweise hinter einem Tisch oder Stuhl Schutz suchen“, so der Deeskalationsexperte. Ein attraktiver Beruf sieht anders aus.
Die traurige Erkenntnis: Wer anderen Menschen hilft, muss mittlerweile seine eigene Gesundheit verteidigen. Fast jede zweite Klinik hat mittlerweile einen Sicherheitsdienst engagiert – und immer mehr medizinische Fachangestellte aus allen Teilen der Republik berichteten von zunehmender Aggressivität.
„Es zieht sich durch alle Schichten und Regionen“, beobachtet die die Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe, Hannelore König. Der Stresslevel der gering bezahlten medizinischen Fachangestellten sei auf einem extrem hohen Niveau. „Die zunehmende Gewaltbereitschaft erhöht diesen Druck noch weiter, so dass immer mehr gut ausgebildete und kompetente MFAs diesen Beruf verlassen.“