Zeichnung und Collage: Marianne Mairhofer
Leben spielt sich ab zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen, Begreifen und Nicht-Begreifen. Und es bleibt immerzu in diesem „Zwischen“. Sobald es auf eine der beiden Seiten ausschlägt, führt es zur Krankheit. Und damit verliert es an Dynamik.
Dies ist der ethische wie auch künstlerische Ansatz des Autors Willi van Hengel. Und aus diesem Verständnis heraus eröffnen sich ihm unerhörte (im wahrsten Sinne des Wortes) kompositorische Möglichkeiten. Nach seinen bereits veröffentlichten Romanen, Essays und Gedichten – seine sogenannten „Wunderblöcke“ – wagt er sich nun ans Theater. Wir sprechen hier bewusst von „wagen“. Denn er setzt den gewohnten Formen des moralischen oder politischen Theaters den „Schrägstrich“ des Individuums entgegen!
In einer Welt überbordender Informationen, Meinungsvorgaben und überflutender Bilder wird der Einzelne kaum noch als individuelle Person wahrgenommen, selbst von sich kaum mehr. Willi van Hengel setzt dem Wahn des disziplinierten Individuums, das weder in der Masse noch in sich selbst ein Ventil findet, nun Texte entgegen, die sich dem gewöhnlichen Verstehen und damit der erwähnten Vereinnahmung entziehen. Seine Texte enden oder münden jedoch keineswegs im Chaos. Im Gegenteil. Sie setzen der Vereinnahmung bloß eine (logische) Grenze.
Wir können einzelne Passagen herausfiltern und einzelne Details begreifen: Das Ganze selbst entzieht sich jedoch einer expliziten Ausdeutung. So wie das Leben selbst. Darauf fußt die starke, fast wütende, aber durchweg poetische Provokation der Texte van Hengels. Eine Interpretation gelingt nur, indem man sich einzelnen Passagen ausliefert – was bleibt, ist zuletzt ein Scheitern. Was van Hengel durchaus positiv sieht. Denn so bleibt alles lebendig: zwischen Begreifen und wieder Infragestellen. Und hier genau liegt die große Identifizierungsmöglichkeit des Publikums mit seiner Text-Inszenierung.
(Wahrscheinlich ein Text von Karsten Schaarschmidt in der Ostthüringer Zeitung vom November 2019)