Von Boris Reitschuster
Staatsanwalt ermittelt wegen versuchter Tötung …… und muss mutmaßlichen Täter trotzdem laufen lassen.
„Ein 26-jähriger Tatverdächtiger soll am Dienstagmorgen in Calw versucht haben, einen 47-Jährigen mit einem Messer zu töten.“ Mit diesem Satz beginnt eine gemeinsame Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Tübingen und des Polizeipräsidiums Pforzheim. Der Vorwurf eines solchen Kapitalverbrechens, selbst wenn es wie hier glücklicherweise beim Versuch geblieben ist, hat in aller Regel die Inhaftierung des Tatverdächtigen zur Folge. Nicht so im vorliegenden Fall aus dem Schwarzwald, der einmal mehr die Frage aufwirft, ob in Deutschland Täterschutz nicht doch vor Opferschutz geht. Aber was war eigentlich geschehen und wie kann es sein, dass ein mutmaßlicher Straftäter, dem die Staatsanwaltschaft eine versuchte Tötung vorwirft, weiter auf freiem Fuß ist?
Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Tübingen soll der 26-jährige Verdächtige sein Opfer am frühen Morgen auf einem Parkplatz mit einem Messer angegriffen haben. Die Ermittler sind zudem davon überzeugt, dass dies zunächst in Tötungsabsicht geschah. Der Angreifer habe zwar noch fliehen können, sei wenige Stunden später aber von „Kräften der Kriminalpolizei“ festgenommen worden. Erkenntnisse zu einem möglichen Tatmotiv liegen den Ermittlern bisher nicht vor, da sich der Beschuldigte in Schweigen hüllt, was natürlich sein gutes Recht ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Tübingen sei der Mann dem Haftrichter vorgeführt worden, der den Haftbefehl gegen Auflagen aber außer Vollzug gesetzt habe. Soweit die Pressemitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei.
Richter sieht keine Haftgründe.
Unglaublich, aber wahr: Der Richter sah keine Haftgründe vorliegen, so dass der Verdächtige den Gerichtssaal zumindest vorerst als freier Mann verlassen konnte. Das ist erstaunlich, denn Gründe, die die Anordnung einer Untersuchungshaft rechtfertigen, kann es mehrere geben. Dazu gehören unter anderem der Vorwurf einer besonders schweren Straftat, Verdunkelungsgefahr und/oder eine Gefährdung der Allgemeinheit, falls der Beschuldigte nicht inhaftiert wird. Im vorliegenden Fall sah der Richter offenbar keinen dieser Gründe als gegeben an, obwohl die Staatsanwaltschaft der eigenen Darstellung zufolge von einem versuchten Tötungsdelikt ausgeht.
Auch einige regionale Medien berichteten über den außergewöhnlichen Fall, so unter anderem der „Schwarzwälder Bote“. Nicolaus Wegele von der Staatsanwaltschaft Tübingen erklärt den Kollegen die Besonderheiten dieses Falls und weshalb inzwischen „nur“ noch wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt wird und nicht mehr wegen versuchten Mords oder Totschlags. Demnach sei der Verdächtige im Laufe der Tat von seiner ursprünglichen Absicht zurückgetreten, wie es im Justizjargon heißt. Der Messerstecher habe nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft zunächst also noch vorgehabt, sein Opfer zu töten, sich dann aber aus freien Stücken dagegen entschieden. Als Indiz für diese Version wertete Wegele offenbar die Tatsache, dass das Opfer zwar verletzt worden sei, aber keine „schwersten Verletzungen“ davongetragen habe, wie es in dem Bericht weiter heißt.
Zwei-Klassen-Gesellschaft in der deutschen Justiz
Während man dieser Argumentation mit etwas gutem Willen vielleicht noch folgen kann, fällt dies bei den weiteren in Frage kommenden Haftgründen schon deutlich schwerer. Weshalb das Gericht bei dem mutmaßlichen Täter weder eine Fluchtgefahr noch eine Gefährdung für die Allgemeinheit sieht, muss im Bereich der Spekulation bleiben, da sich die Staatsanwaltschaft dazu nicht konkret äußert. Man könne jedoch „davon ausgehen“, dass dies nicht der Fall sei, da der Verdächtige ansonsten in U-Haft geblieben wäre, wie Nicolaus Wegele versichert.
Wer so etwas liest, sieht sich unweigerlich mit der Frage konfrontiert, ob die Verhältnismäßigkeiten noch stimmen, mit denen Gerichte in Deutschland urteilen. Mutmaßliche Messerstecher und verurteilte Kinderschänder bleiben auf freiem Fuß, während zum Beispiel Kritiker des Corona-Irrsinns die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. So geschehen etwa bei einer Ärztin aus Bayern, die wegen Ausstellung von Maskenattesten zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde.
Ist es ein zu harter Vorwurf, wenn angesichts solcher Urteile mancher schon von Gesinnungsjustiz in Deutschland spricht? Ist eine Ärztin, die „falsche“ Maskenatteste ausstellt, allgemeingefährlicher als ein Messerstecher, Mörder oder Kinderschänder? Kann man auch im „besten Deutschland aller Zeiten“ noch mit absoluter Gewissheit davon ausgehen, dass die hiesigen Gerichte wirklich ohne Ansehen der Person entscheiden? Die Antworten auf diese Fragen liegen wohl auf der Hand – und sie sollten zu denken geben…