Ungewiss


Collage-Grafik: Marianne Mairhofer

Der liebe Gott erfand die Philosophie für solche Menschen, die enttäuscht wären, wenn es zu einfach ist. Philosophen lieben ihre Zweifel. So erlebte ich neulich eine sehr nette Schülerin, die ihre religiöse Gewissheit liebte. Im Ethik-Unterricht zweifelte ich meiner Natur gemäß an ihrer Gewissheit.

Sie müssen nicht zweifeln, sagte sie treuherzig, denn sie glaubte, ich würde unter meinen Zweifeln leiden. Aus Rücksicht verbarg ich vor ihr meine Lust am Zweifel oder versuchte es zumindest. Ich bin nicht sicher, ob sie mich durchschaute. Meinen Ethik-Unterricht beginne ich gerne mit der Vorankündigung, dass sie, die Schüler nach der Unterrichtseinheit weniger wüssten, als davor. Ich mache also kein Geheimnis aus meiner Absicht, Gewissheiten zu zerstören. Schließlich verdeckt so manche Gewissheit ein profundes Vorurteil. Darum hat die Kirche ihre Philosophen in Klöster gesteckt unter ihresgleichen. Dort konnten sie dann ihrer Lust frönen, ohne Schaden anzurichten. Denn die meisten Menschen leiden unter ihren Zweifeln. Kommt der Philosoph daher und zerstört ihre Gewissheiten, geht es ihnen schlecht. Das bekümmert den Philosophen nur, wenn er zugleich Psychologe ist. Statt also den darunter leidenden Menschen ihre Gewissheiten zu nehmen, sollte der Philosoph ihnen andere Gewissheiten anbieten, damit sie ihre Gewissheiten als überflüssig erkennen. Diese Aufgabe übernahmen die Wissenschaftler.

Nun glauben die Menschen an die blinde Evolution und haben wieder eine hübsche Gewissheit, die ihren Zweifel lindert. Doch der Philosoph empfindet ja Lust am Zweifel. Gewissheiten, auch die blinde Evolution, sind eine Lustbremse. So einfach ist es eben nicht mit der Schöpfung. Die Frage an die Philosophie: Ja was ist es dann, wenn nicht Gott und nicht die Evolution? Diese Frage ist schön gestellt. Und der Philosoph liebt Fragen.

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