Dann regnete es den Rest des Aufenthalts. Zu Abend aßen wir nach dem üblichen Aperitiv in einem Café auf der Piazza d’Italia, öfters im I Limoni, das wie Spitaleri im Internet zu finden ist, mit Aussagen zufriedener Gäste. Die unzufriedener Gäste sind nicht verzeichnet, nirgendwo, weil ihre Aussagen gelöscht werden. Das Internet ist ein Medium der Positivität. Es steht da, was ist, und was ist, klingt gut; was nicht ist oder möglich ist, steht in den Sternen. Alles wirkt wie mit Harz übergossen und fest geworden; die Welt ist verbal verdoppelt, ihre Profanität erschreckend geworden.
© Manfred Poser: Im Café
Aber eine Art Hilfestellung braucht man, denn wenn du drei Kilometer die Küste entlang gehst, kommst du an drei Dutzend Restaurants vorbei, die alle irgendwie ähnlich heißen und Ähnliches anbieten. Das Lokal I Limoni habe seit Jahren sein Niveau gehalten, erfuhren wir jedoch von einem lebenden Sizilianer, und der jüngere männliche Wirt mit seinem Kompagnon in der Küche waren äußerst nette Leute. Draußen auf dem Bürgersteig vor der Straße (jenseits die Kaimauer und das Meer) standen drei normale Tische mit normalen, etwas benutzten Stühlen.
Auf Sizilien denkt man vermutlich nicht darüber nach. Die Leute müssen eben auf etwas sitzen. In Deutschland achtet man auf den Gesamteindruck und »schickst« das Restaurant überall »auf«, gibt den Gerichten schöne Namen und erhöht die Preise, in der Hoffnung, dass sich die Zufriedenheit beim Gast schon einstellen werde. Im normalen Italien wird so gut wie möglich gekocht, und das Ambiente fügt sich drein.
Was braucht man schon zum guten Essen? Sicher keine Philosophie, die lautet, Essengehen müsse ein Erlebnis sein. Man kann schadhafte, billige Stühle auch für den Ausdruck von Nachlässigkeit, von Selbstbewusstsein oder gar Arroganz halten; man kann sich aber auch auf sie setzen und sie ignorieren, sofern sie nicht unter einem zusammenbrechen. Die Ansprüche des Konsumenten, der sich für etwas Besseres hält, können einen in den Wahnsinn treiben. In unserer Welt denkt man zu viel über die unwichtigen und zu wenig über die wichtigen Sachen nach.
© wikipedia: Spaghetti in Tintenfischsoße
Die Portionen sind reichlich, und gemerkt hatte ich mir die sensationellen Spaghetti al nero di seppia, die in schwarzer Tintenfischsoße. Der Fisch war frisch, der Salat schmackhaft, der Wein nicht zu teuer, die Musik nicht zu laut, das große naive Ölbild an der Wand halbwegs anzuschauen. 200 Meter zum Hotel, man hätte jeden Abend hierher gehen können. Man könnte auch hier leben, überhaupt in Adrano. Ich tu’s nicht, weil mein Lebenssinn woanders liegt und noch nicht erfüllt ist. Und wenn es denn einmal soweit sein wird, weiß ich, dass mein Bewusstsein und meine unsterbliche Seele größer sind als das Internet, und dann werde ich mir meine Welt schon basteln.
Fortsetzung folgt.