6. Mai Ich werde ab heute Tagebuch führen. Aus Athen zurück, erreicht mich eine mail von Lucy. Wulf ist tot. Er war unterwegs zu ihr, um etwas Wichtiges mitzuteilen. Wulf, der Paranoiker. Schade um ihn. Etwas passiert, oder es ist längst passiert. Wichtig ist auch wo. Innerhalb oder außerhalb von mir.
7. Mai Weil alles gelogen ist, darf es jeder wissen. (David Theobald, Vollzugsanstalt Bruchsal, 1864) Ich weiß manches, das ich nie wissen wollte und schreibe, um weniger zu denken.
13. Mai Wenn Pornografie totalitärer Sex ist, ist Prüderie Widerstand. In geheimen Camps wird Liebe trainiert. Gefangene werden durch Zuneigung gefoltert. Ersthelfer robben durch Minenfelder aus gebrochenen Herzen. Selbstschussanlagen kommen zu früh.
14. Mai Eben lief wieder der Vorabendkrimi, in dem sich die Klingeltöne im Polizeirevier anhören wie mein Telefon. Das Bedürfnis zum Hörer zu greifen ist ein Reflex auf das Alleinsein. Auf Suche nach meinem inneren Forsthaus mische ich Blumen – mit Kakteenerde und pflanze Cannabis auf den Balkon. Ich brauche Staubsaugerbeutel.
Foto: Friedel Kantaut
16. Mai Wenn man in einer Raumstation lebt, sollte man kein Fenster öffnen, um zu lüften. Parzival, rate mal, was ich als erstes tu, wenn Du gegangen bist. Die letzte Nase nehmen, den Fernseher anstellen, Deine mails checken. Als er weg ist, geh ich aufs Klo.
Greta, egal welche mail Du mir schickst, die Antwort ist längst vorbereitet. Du hast mir so viel Zeit gegeben, Dich zu zerlegen, dass ich die Teile nicht mehr zusammenbekomme.
18. Mai Sven & Jens, mein Nachbar mit der schizophrenen Psychose fühlt sich verantwortlich für das Leid in der Welt und meiner Wohnung. Um meine Wohnung von allem Leid zu befreien, wird er, nachdem er sein letztes Koks eingesaugt hat, eine Taxe bestellen, zur Storkower Straße fahren und vom Hochhaus springen. Ich versuche ihm zu erklären, dass solch drastische Maßnahmen nicht notwendig sind, verspreche ihm aber, bei Bedarf auf sein Angebot zurückzukommen.