6. November Ich entzünde eine Kerze, die meinen Weg beleuchtet und lasse den kaputten Fernseher laufen, weil seine Störung meine Paranoia nährt. Über der Stadt ist eine graue Betondecke eingezogen worden. Fahles Licht ohne eine erkennbare Quelle. Keine Kontraste. Passanten schieben sich über Gehwege, auf Rolltreppen, in die Bahnen des Nahverkehrs. Ich werde mitgeschoben, versuche dabei im Gedränge jeden Körperkontakt zu meiden, Großstadtslalom in Zeitlupe. Jagdfieber. Zu viele kranke Menschen mit Augen voller Angst und mit Bewegungen, wie schlecht einstudiert, entsorgen dauernd ihren Wortdarm. Schlachtvieh, keine angemessene Beute. Fass mich nicht an. Diese Stimme ist anders. Er dreht sich um. Sie steht ihm gegenüber in der Bahn. Groß, dunkel, selbst. Das richtige Opfer für einen Jäger. Er wartet ihre Station ab. Folgt ihr in eine Seitenstraße. Holt auf. Drängt sie in einen Torbogen. Sie dreht sich um. Fass mich nicht an. Und wehrt sich. Welch ein Genuss. Ich entzünde eine zweite Kerze. Den Fernseher habe ich entsorgt. Ich bin wieder klar. Wer Leben will, muss Leben nehmen.
8. November Ich frage eine Suchmaschine, wo ich bin. „Es ist irgendwo da draußen.“ Gut, dass der Außerirdische mit dem Lichttoupet nach 95 Filmminuten von mir erledigt wird, und ich mich, schwer verletzt, mit der letzten Frau des Planeten, auch schwer verletzt, ins All retten und eine neue Zivilisation gründen kann.
12. November Irgendwann fing er an, die letzte DVD, einen Trickfilm über Fische, immer wieder auszuleihen, nachdem er sie in die Videothek zurückgebracht hatte. Er lieh sich von jetzt an nur diesen Film. Meistens mehrmals die Woche. Einmal sogar vier Mal am Tag. Nach einiger Zeit hörte er damit auf, sich den Film ganz anzusehen. Immer nur Fische, die zusammenhalten, sind nicht auszuhalten. Er wartete nur noch die Laufzeit des Films ab, um ihn dann zurückzubringen. Als ihn niemand fragt, warum er das tut, ist es zu spät aufzuhören. Lebenslänglich Fische.
Foto: Friedel Kantaut
Bericht von ES
Das Objekt war den Tag über ruhig, der übliche Konsum von TV, Alkohol, Cannabis, Nikotin. Inzwischen nimmt er meine Anwesenheit kaum noch wahr, damit kann ich direkte Einflüsse durch meine Gegenwart weitgehend ausschließen. Er sollte heute keine Anrufe, Mails und SMS mehr bekommen. Das Objekt wird weiter sozial stimuliert und umgehend ausgewertet. Er schreibt regelmäßig in einen schwarzen DinA6-Kalender. Notiz: Den Kalender am Ende der Beobachtung sicherstellen. Er schläft jetzt. Ich starte den ersten Traum.
Fortsetzung folgt.