Richard Fach 13. Teil

12. Oktober  Zehn Uhr. In einer Stunde muss er sein Hostelzimmer verlassen. Er packt seine Sachen und legt die Plastiktüte auf das Bett, entkleidet sich, nimmt das braune Hasenkostüm aus der Tüte, das Greta extra für ihn und für heute geschneidert hat. Er zieht es an, legt den Patronengurt aus Hanffaser um und stopft in seine Schlaufen Möhren aus dem Biomarkt. Dann nimmt er all seinen Mut zusammen und tritt auf die Straße. Viva Vegan. Das sind seine letzten Worte. Aus der Titelgeschichte der Abendzeitung: Hase gerät in Schusswechsel. Tot. Ein ein Meter achtzig großer Hase verblutet am Übergang U- und S-Bahn Neukölln. Er war wahrscheinlich ein Ökoterrorist.

17. Oktober  Wieder stellen sich neue Fragen. Ersaufen, verhungern oder vereinsamen wir, in welcher Reihenfolge? Bringen wir uns um oder weiter. Bleibt uns mehr als die Hoffnung, dass das Ende der Welt unser eigenes Ende vorwegnimmt. Habe ich heute schon etwas gegessen und wenn nein, warum nicht?

19. Oktober  Arbeitslicht auf der Bühne. Von Zeit zu Zeit tragen Schauspieler weiße Gartenplastikstapelmöbel auf die Rampe, setzen sich, reden, stehen auf und tragen sie wieder herunter. Das Publikum ist einem endlosen Plenum über Revolution ausgeliefert. Theater, das ohne Erwartung an emotionale Beteiligung und Spannung beim Publikum inszeniert ist, um nicht von Erkenntnis und Analyse abzulenken. Was hat uns Brecht da angetan. Ein Stück über das Siechtum im Altersheim muss folgerichtig in Echtzeit aufgeführt werden und ohne Morphium. Nach ein paar Jahren werden dann die ersten Toten aus dem Zuschauerraum getragen. Oder man schlachtet auf offener Bühne ein Tier auf bestialische Weise und erklärt dazu: So ist Altersheim, nur länger. Das ist zwar nicht so korrekt, aber kurzweiliger.

Friedel Kantaut - Richard Fach 13

Zeichnung: Friedel Kantaut

21. Oktober  Seit drei Wochen wohnt mein Neffe bei mir. Er will die Großstadt erobern. ES fühlt von ihm sich gestört und nimmt ein erstes Mal direkt Kontakt mit mir auf. Was hast Du mit dem Ergebnis eines unkontrollierten Samenergusses deines Bruders zu tun? argumentiert ES. – Aber sein Vater ist tot. – Trotzdem war es sein Sperma und nicht deins. Gute Taten sind keine Rentenversicherung. Meinem Neffen gegenüber tue ich so, als wenn ES nicht existiert.

22. Oktober  Ein Knopf am Gehirn, der, wenn ich ihn drücke, Glück ausschüttet, wäre hilfreich. Ich würde ihn pausenlos benutzen. Niemand muss mich dann mehr loben, ich bin nicht mehr darauf angewiesen, geliebt zu werden und kann die Telefonnummer meines Dealers vergessen. Irgendwann droht die Selbsthilfegruppe. Ich heiße Richard und habe den Knopf zu oft gedrückt. Das verstehen wir und werden dir helfen. Die Ratschläge, die ich bekomme, lauten, lass dich mal wieder loben, du brauchst Liebe und im Notfall haben wir die Telefonnummer eines Dealers.

Fortsetzung folgt.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert