3. August Ich will nichts und das sofort. Immer in Bewegung bleiben, auf dem Weg aus einer nicht reflektierten Vergangenheit in keine Zukunft. Lasst mich hier zurück. Ich kann nicht mehr weiter. Geht nur. Ihr könnt es schaffen. Ich deck euch den Rückzug. Was sind das für alberne Sätze, wenn man sie zu seiner Schrankwand, seinem Rechner und seinem Toaster sagt. Dann will ich noch zweitausend Einheiten Morphium und einen voll getankten Notarztwagen.
5. August August Heute morgen habe ich mich an den grauen Papagei erinnert. Wir verstanden uns gut in dieser langen Juninacht. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Als ich den Schrank im Gästezimmer öffne, erschlägt mich ein süßfauliger Gestank. Auf dem Schrankboden liegen graue Federn und Knochen, die in einer Ursuppe schwimmen, die zahlreiches, weißes, sich windendes Leben gebiert. Ich entsorge diesen Schöpfungsakt in einer Plastiktüte. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mit Freundschaft und Nähe nicht umgehen kann. Tut mir Leid, Kadaver.
14. August Das Telefon klingelt, um mir in Gretas Auftrag abzusagen. Ich erwäge alle Stecker zu ziehen, in der Hoffnung, dass nicht wahr ist, was ich nicht wahrnehme. Aber auch die glückliche Wendung braucht das Telefon, das Internet. Sie steht selten vor der Tür, um durch die Gegensprechanlage zu fragen, ob sie hochkommen darf. Also sitze ich in meinem Netz von Verbindungen und warte auf ein Zucken.
Grafik: Friedel Kantaut
22. August Der Himmel trägt das erste Mal wieder Abschiedsschwarz. Die Sommernächte der letzten Monate waren dunkelblau und weit. Diese neue Dunkelheit ist schwerer, sickert in mich ein, ist Angst und Beklemmung. Jedes Jahr im Spätsommer fällt mir diese gottverdammte Rilkedrohung ein: Wer jetzt allein ist usw. Ich könnte mein Gästezimmer an eine gut aussehende Cellistin vermieten, in langen Nächten heimlich ihren Übungen lauschen und mir dabei ihren nackten Körper hinter dem Cello vorstellen. Ihre Zehen drücken sich vom Boden ab und ihre Schenkel umschließen das Instrument. Es wird alt und ich werde Winter.
25. August Dann ist auf einmal Krieg, oder die Rückkehr der lebenden Toten oder die Pest. Wo gehe ich hin, wenn Zombies schlafen? Jede Begegnung ist ein Risiko. Ich nähere mich vorsichtig und versuche dabei herauszufinden, ob in dem Körper noch die Person wohnt, die ich kenne. Besser, ich bleibe allein. Dann spiegele ich mich den ganzen Tag, dokumentiere Selbstgespräche und diskutiere später mit der Aufnahme. Meistens gebe ich mir recht. Wenn doch Widerspruch von mir kommt, breche ich das Gespräch beleidigt ab, werfe den Tisch um, nehme einen Drink und gehe ins Bett.
30. August Seit drei Tagen beobachte ich eine dunkelgraue Taube. Sie sitzt nah einer Hauswand gegenüber dem Taxenstand und wird immer weniger. Nur ihr Kopf auf dem noch aufrechten Hals sichert in alle Richtungen. Sie macht mich hilflos, denn ich kenne die offiziellen Berliner Umgangsformen mit sterbenden Tauben nicht. Soll ich sie aufheben, zum Tierarzt tragen, ihm das halbverrottete Ding zeigen und fragen: Können Sie noch was machen? Oder soll ich sie mit einem kräftigen Tritt erlösen. Um zu leiden braucht man ein Gefühl für Zeit und eine Ahnung von sich. Die Taube sitzt in ihrem rechten Winkel, sichert und verhungert. Zuhause hebe ich mein Glas und kondoliere.
Fortsetzung folgt.