Rentner

Jugendpolitiker will, Rentner sollten auf Geld verzichten als einseitiges Umschreiben des Generationenvertrags.

Von Boris Reitschuster

Yusuke Narita, Assistenzprofessor für Wirtschaftswissenschaften an der bekannten US-Universität Yale, hat einen sehr eigenwilligen Vorschlag im Umgang mit der Überalterung der Gesellschaft gemacht. Die einzige Lösung sei ziemlich klar: „Massenselbstmord und Massen-‘Seppuku‘ der älteren Menschen?“ Der Begriff „Seppuku“ steht für einen rituellen Selbstmord der Samurai. Er wurde im 19. Jahrhundert verboten. Narita machte seine Aussage Ende 2021 in einer Online-Nachrichtensendung; doch erst jetzt wurde sie in den Medien aufgegriffen und sorgte für Schlagzeilen. Narita, der allein auf Twitter mehr als 570.000 Follower hat und in Japan recht bekannt ist, ruderte zurück. Er sei missverstanden worden, beteuerte er.

Nicht ganz so menschenverachtend wie die Idee des Assistenzprofessors aus Japan, aber immer noch unglaublich ist der Vorschlag von Jugendpolitiker Jörg Tremmel, dem Vorstandssprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Er fordert, Rentner müssen auf Geld verzichten. Seine Organisation versteht sich als Lobby für junge Bürger.

„Das jetzige Rentensystem ist nicht generationengerecht. Es ist nicht sozialgerecht, und es ist nicht transparent“, womit er völlig recht hat. Auch die Schieflage des Systems ist durchaus ein Fakt. Schon Ende 2021 standen laut Statista einem Altersrentner 1,8 Beitragszahler gegenüber: Anfang der 1960er Jahre war das Verhältnis noch solider: hier kamen auf einen Altersrentner sechs aktiv versicherte Erwerbspersonen. Laut IW Köln werden im Jahr 2030 auf einen Rentner nur noch 1,5 Beitragszahler kommen. Im Jahr 2050 könnten es sogar nur noch 1,3 Beitragszahler sein.

Das Missverhältnis geht auf einen Strukturfehler in der deutschen Altersvorsorge zurück – die anders als in vielen anderen Ländern nur auf Umlage zwischen den Generationen und nicht auf einem Kapitalstock beruht. Durch sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartungen ist dieses System aus den Fugen geraten. Das Missverhältnis muss schon jetzt durch einen „Bundeszuschuss“ von über 100 Milliarden pro Jahr ausgeglichen werden – auf Kosten der Steuerzahler. Tendenz: stark steigend.

Die Regierung Schröder hatte den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt. Der sah vor, Veränderungen im Mengenverhältnis von Rentenbeziehern zu Beitragszahlern sollten ausgeglichen werden. Mit anderen Worten: „Steigt die Zahl der Rentner rascher als die Zahl der Beitragszahler, wirkt sich der Anpassungsmechanismus dämpfend bei einer Rentenerhöhung aus“, wie Tremmel in einem Interview mit dem „Focus“ ausführt. 2018 hat die Große Koalition unter der großen Vorsitzenden bzw. großen Aussitzerin Angela Merkel diesen Nachhaltigkeitsfaktor 2018 wieder ausgesetzt. Laut Kritikern, um sich bei älteren Wählern beliebt zu machen.

„Seitdem erleben wir immer mehr Intransparenz. Man will verschleiern, wie die Kosten am Ende auf verschiedene Generationen aufgeteilt werden. Deshalb unsere Forderungen nach Wiedereinführung des Nachhaltigkeitsfaktors“, fordert Tremmel: „Und man müsste die Lebensarbeitszeit an die steigende Lebenserwartung koppeln.“ Heute entfalle ein „größerer Teil unseres Gesamtlebens in die Ruhestandsphase“, so Tremmel: „Früher waren das 14 Prozent der Lebenszeit, heute schon 21 Prozent.“ Mit anderen Worten: „Der Anteil der Arbeitsjahre am gesamten Leben sinkt, der Anteil der Ruhestandsjahre steigt.“

Mit der Rente mit 63, die unter Andrea Nahles 2014 in der Großen Koalition eingeführt wurde, habe sich das Verhältnis zwischen Arbeitsjahren und Lebenszeit noch weiter verschoben. Tremmel will die Lebensarbeitszeit an einen statistischen Indikator koppeln. Weil es dann, so findet er, „nicht immer diese unsäglichen Debatten gäbe: ‚Sollen wir jetzt alle bis 67, bis 68, bis 69 arbeiten?‘“

Ein seit vielen Jahren in Deutschland lebender Freund in reifen Jahren schickte mir den Vorschlag von Tremmel unter Hinweis auf die Suizid-Ideen des Japaners Narita mit folgendem sarkastischen Kommentar: „Entsetzlich!

Doch Fakt ist auch: Heute beziehen im Wesentlichen die Generationen Rente, die unser Land nach dem Krieg in sehr harter Arbeit und mit unglaublichem Fleiß wieder aufgebaut haben, wie etwa meine Eltern. Von „Work-Life-Balance“, also einer Balance zwischen Leben und Arbeiten, war damals nicht in kühnsten Träumen die Rede. Diese Rentner von heute haben ihr Leben lang brav in die Rentenkasse eingezahlt und sich auf die Zusagen verlassen. Diese jetzt zu brechen, wie es Tremmel fordert, käme einem massiven Vertrauensbruch gleich, einer Ohrfeige für diese Menschen, die in bestem Treu und Glauben ihr Leben lang Unsummen an die Rentenkasse einzahlten. So dringend das System reformiert werden muss – dies darf nicht, wie Tremmel es vorschlägt, in Form eines Vertrauensbruchs und eines Betrugs an den Rentnern von heute geschehen.

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