Relotius, der Frisör und das Geschenk

In zwanzig oder dreißig Jahren werden sich die Historiker fragen, wie es gelingen konnte, von heute auf morgen eine Gesellschaft ihrer Grundrechte zu berauben, sie auf dem Höhepunkt der Corona-Diktatur wegzusperren und ihren Aktionsradius auf 15 km Umkreis zu beschränken. Die Antwort ist, dass Politik und meinungsmachende Medien ein Kartell gebildet und mit ununterbrochener Angstpropaganda Gehirnwäsche bei der Bevölkerung betrieben haben.

Selbst im SED-Staat war die Propaganda nicht so flächendeckend, weil die Gegenmeinung, außer im so genannten „Tal der Ahnungslosen“, dem Raum Dresden, leicht erreichbar war. Spätestens nach 20 Uhr emigrierten die DDR-Insassen (Joachim Gauck) per Fernsehen in den Westen. Außerdem glaubten die wenigsten „Propagandisten der Arbeiterklasse“ an ihre eigenen Parolen. Da kann man bei den Haltungs-Journalisten von heute auch nicht mehr sicher sein.

Vor wenigen Tagen erschien im Berliner Tagesspiegel ein unfassbar peinliches Stück Haltungs-Journalismus.

Anlass war der Beschluss der Candy Crush-Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin, die Frisörläden ab dem 1. März wieder öffnen zu lassen. Daraufhin druckte der Tagesspiegel, was ein Frisör, der anonym blieb, angeblich dem Blatt zu Protokoll gegeben hatte.

Nach seiner Freude, seinen Salon wieder öffnen zu „dürfen“, als wäre es ein politischer Gnadenakt, arbeiten zu können, folgte eine Denunziation der gesamten Berufsgruppe.

An die 50% seiner Kollegen würden schwarzarbeiten. Darüber hätten die „Entscheider“ gar keine Kontrolle. Er selbst, der staatstreue Diener seiner Herren hätte heldenhaft alle unsittlichen Angebote abgelehnt (und sich mit der „Staatshilfe“ begnügt, die bei vielen seiner Kollegen noch gar nicht angekommen ist).

Und dann kommt der Satz:

„Also ich kann nur sagen, mir haben sie am Mittwoch ein Geschenk gemacht“. Das ist kein Fake, das steht tatsächlich da. Das ist das Niveau der Huldigung, die von Untertanen in einer Diktatur verlangt wird. Spätestens an dieser Stelle sind Zweifel angebracht, ob es diesen Frisör wirklich gibt. Dann geht es weiter mit: „Ich bin sehr dankbar für die Entscheidung, dass ich am 1. März wieder öffnen kann. Vor allem auch dafür, dass ich zwei Wochen Zeit habe, alles vorzubereiten“. Hätte er schon zum 15. Februar wieder aufmachen dürfen, wäre er doch glatt „ins Schleudern“ gekommen.

Botschaft: Wir haben also nicht nur eine unendlich gütige Regierung, die Arbeitserlaubnisse gnädig verschenkt, sie ist auch klug und sorgt dafür, dass sie die von ihr Beschenkten nicht überfordert.

Natürlich findet der Anonymus, dass die Hygiene-Maßnahmen noch einmal verschärft und die Anzahl der Kunden, die bedient werden können, noch einmal reduziert werden müssen. Er sagt auch in aller Offenheit, wohin das führen wird: Die Termine seien bereits jetzt schon vergeben, die Kunden müssten sich gedulden.

Es liest sich, als ob im besten Deutschland, das wir je hatten, die Bürger nach Frisörterminen anstehen sollen, wie zu DDR-Zeiten nach Bananen. Danke, liebe Bundeskanzlerin, für dieses Geschenk!

Vera Lengsfeld bei einer Lesung Bürgerrechtlerin in der DDR, Mitglied des Bundestags 1990 bis 2005, freie Journalistin,  Mitglied der Werteunion

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