Von Boris Reitschuster
Geheimgipfel mit Facebook und Google
Dass vermeintliche Verschwörungstheorien sich als Realität herausstellen, ist heutzutage Alltag. Leider. Doch selten hat mich die Bewahrheitung einer Verschwörungstheorie so getroffen wie diesmal. Ein ums andere Mal haben mir die Sprecher der Bundesregierung auf der Bundespressekonferenz auf meine Fragen nach der Zensur bei Facebook und Google mit Unschuldsmiene beteuert, sie hätten damit nichts zu tun. Das sei Privatsache, da es ja private Konzerne seien. Die Bundesregierung wusch ihre Hände in Unschuld.
Mir war das damals schon zu wenig. Weil die Bundesregierung auch die Aufgabe hat, das Grundgesetz durchzusetzen. Und das garantiert Meinungsfreiheit. Aber jetzt kommt es noch viel dicker. „Jetzt kommt heraus: Es gab einen geheimen Corona-Gipfel zwischen der Bundesregierung und US-Konzernen, der den Kampf gegen vermeintlich falsche Informationen auf der Agenda hatte“, wie die „Bild“ schreibt.
„Im ersten Corona-Sommer, als die Pandemie-Welle abflachte und die Unzufriedenheit mit den Maßnahmen zunahm, berief die Regierung ein geheimes Treffen mit den größten Sozialen Netzwerken Facebook (u.a. Instagram, mittlerweile umbenannt in Meta) und Google (u.a. YouTube) ein“, schreibt das Blatt.
Besonders brisant: „Treffen zwischen Regierungsvertretern und Sozialen Netzwerken waren nicht unüblich. So traf sich das Gesundheitsministerium mehrfach mit Vertretern von Tech-Konzernen, um etwa die Verbreitung von Regierungsinformationen zu besprechen. Doch der Geheim-Gipfel hatte einen anderen Fokus“, so die „Bild“.
Am 2. Juni 2020 bestellten demnach das Bundesinnenministerium (BMI) und das Bundespresseamt die Top-Lobbyisten von Google und Facebook zum vertraulichen Gespräch. Das Thema dieses Gipfels: „Die Corona-Pandemie und die in diesem Kontext zu beobachtende Verbreitung von Fehl-, Falsch- und Desinformationen“. Das Ziel der Unterredung: Klären, „wie der damit verbundenen Herausforderung grundsätzlich begegnet werden kann“.
Was das im Klartext bedeutet, bringt „Bild“ auf den Punkt: „Die Regierung besprach mit Betreibern Sozialer Netzwerke, die täglich von Dutzenden Millionen Deutschen benutzt werden, wie gegen die Verbreitung von Informationen vorgegangen werden kann, die sie als falsch und gefährlich erachtete.“
Mit dabei war auch Angela Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert. Also der Mann, der mir in der Bundespressekonferenz in die Augen schaute – meistens aber vorbei – und treuherzig beteuerte, die Zensur sei Privatsache, und die Regierung habe damit nichts, aber auch gar nichts zu tun!
Was für eine Dreistigkeit!
Was genau die Regierung von den Sozialen Netzwerken im Umgang mit sogenannten „Falschinformationen“ forderte und ob Google und Facebook den Forderungen nachkamen – dazu wollen die Beteiligten laut „Bild“ nichts sagen. „Beschlüsse wurden nicht gefasst“, erklärte ein Regierungssprecher gegenüber dem Blatt – während die Konzerne schweigen. Klar ist: Zensur erfolgt in der Regel auf Zuruf und nicht per offiziellem Beschluss. Denn der würde Verantwortlichkeiten nach sich ziehen.
Ans Licht kam der Geheimgipfel durch eine Anfrage des FDP-Vize-Chefs Wolfgang Kubicki. Er zeigt sich nun besorgt und sagte der „Bild“: „Artikel 5 unseres Grundgesetzes stellt fest: ‚Eine Zensur findet nicht statt.‘ Die Bürgerinnen und Bürger müssen erwarten, dass die vorige Bundesregierung unter Angela Merkel diesen Grundsatz nicht verletzt hat“.
Kubicki mahnt nun Aufklärung an: „Natürlich können wir nicht ausschließen, dass es mögliche Einflussnahmen auf Twitter und Co. nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande gegeben hat.“ Es dränge sich die Frage auf, „welche Gedanken im Sommer 2020 mit den Internetdiensten eigentlich ausgetauscht werden sollten und wurden“, so der Liberale zur „Bild“: „Ich erwarte, dass das Bundesgesundheitsministerium und das Kanzleramt die nötige Transparenz herstellen, damit falsche Schlüsse über eine mögliche Einflussnahme vermieden werden.“
Ich fürchte, das wird ein frommer Wunsch bleiben. Denn statt Aufklärung ist im polit-medialen Komplex Vertuschung angesagt. Inzwischen wird auch immer deutlicher, warum: Die Wahrheit könnte die Bürger verunsichern.