Graichen wollte Verband seiner Schwester 600.000 Euro zuschustern. Grünen-Staatssekretär muss nun doch gehen – weil neue krumme Dinger aufgeflogen sind.
Von Boris Reitschuster
Es wirkt schier unglaublich, ausgerechnet die Grünen, die immer als Saubermänner auftraten, sind jetzt in einer Vetternwirtschafts-Affäre verfangen, die selbst für die Verhältnisse der CSU in „Amigo“-Zeiten abenteuerlich wäre-. Jetzt kommt heraus: Robert Habecks Vertrauter und Staatssekretär Patrick Graichen wirkte an einer Förderung eines Projekts des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Landesverband Berlin mit, in dem seine Schwester Vorstandsmitglied war. Insgesamt geht es um 600.000 Euro aus der Staatskasse. Noch sei kein Geld geflossen, aber die Vergabe sei nur noch eine Formsache, sagte Minister Habeck am Mittwochvormittag auf einer eilig anberaumten Pressekonferenz.
Graichen hätte wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen an der Abzeichnung der Finanzierung am 30. November 2022 nicht mitwirken dürfen. Hat er aber, denn er zeichnete die Finanzierung eigenhändig ab. Das sei nicht im Einklang mit den Compliance-Regeln, hieß es auf der Pressekonferenz. Herausgekommen sei die Sache ministeriumsintern im Rahmen der Prüfung, zu denen die anderen Vetternwirtschafts-Vorwürfe geführt haben. Dies sei „ein Fehler zu viel“, so der Minister: Deshalb habe er sich mit Graichen geeinigt, er müsse gehen. Eine feine Umschreibung für den Rauswurf seines Vertrauten.
Habeck musste eingestehen, es gebe zudem noch einen weiteren ähnlichen Fall, der allerdings „nicht so gravierend“ sei. Wirklich? Details nannte der Minister leider nicht. Stattdessen beschwichtigte er: „Die Abzeichnung der BUND-Vorlage fällt in eine Hochphase der Krise. Eine Phase hoher Arbeitslast. Aber es war der eine Fehler zu viel.“ Und wer ist schuld bzw. wer sind die Bösen? Graichen? Mangelnde Kontrolle durch den Minister? Nein. Sie ahnen es schon: „Er wurde angefeindet, das ist unerträglich“, sagte Habeck und nannte „rechtsextreme“ und „prorussische“ Accounts in den sozialen Medien.
Tatsächlich hatte sich Habeck regelrecht an Graichen geklebt, der mit seiner Vetternwirtschaft, über die wir wiederholt berichtet hatten, das Wirtschaftsministerium und auch die Grünen massiv in die Schlagzeilen gebracht hat. Das jetzt veröffentlichte Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung, in der Abgeordnete der Bundestagsausschüsse von Wirtschaft und Energie den Minister und seine Staatssekretäre befragten, brachte Ungeheuerliches zutage. Und machte auch deutlich, warum das Ministerium auf dem Ausschluss der Öffentlichkeit beharrte.
Denn anders als bisher dargestellt, wurde klar, Graichen brachte bei der Suche nach einem neuen Chef der bundeseigenen Deutschen Energieagentur seinen Trauzeugen selbst ins Spiel. Zuvor hatte es immer so geklungen, als sei sein alter Freund Michael Schäfer zufällig auf der Bewerbungsliste gelandet. Graichen musste auch eingestehen, dass er dem Auswahl-Gremium nicht offenbarte, dass der Bewerber sein Freund und Trauzeuge ist. Mehr noch: Er spielte Theater, siezte vor dem Gremium seinen guten Freund. Alle vier der sechs anderen Bewerber, mit denen er per Du ist (schon per se unglaublich und ein Beleg für die massive Vetternwirtschaft), siezte der Staatssekretär vor dem Auswahlgremium. Da muss man sich schon fast die Frage stellen, ob das nicht kriminelle Energie ist.
Man muss sich das noch einmal vergegenwärtigen: Zwei Drittel der Bewerber, die für so eine herausgehobene Position bei einer staatlichen Agentur in die engere Wahl kommen, sind Freunde des Grünen-Staatssekretärs. Kritiker, die sagen, der Staat sei Beute der Parteien geworden, können sich hier bestätigt fühlen. Vor den Abgeordneten musste Graichen dann auch zugeben, er habe der Findungskommission verheimlicht, dass Schäfer sein Trauzeuge ist. Was ihn nicht hinderte, dann bei der endgültigen Entscheidung eine „positive Empfehlung“ für ihn auszusprechen.
Vorgänge, wie man sie sonst eher aus Bananenrepubliken kennt – im Haus des Vizekanzlers und unter Grünen. Und wie gehen die Moralapostel damit um? Graichen sagte vor den Abgeordneten, er habe „nicht die Klarheit“ gehabt, „dass Michael Schäfer in dem Kontext jemand ist, den ich sozusagen zu gut kenne“. Was für eine Selbstentlarvung. Dass man sich kennt, ist also üblich in dem Ministerium unter Habeck, der massiv neue Stellen schuf. Nur dass in dem Fall die Bekanntschaft „zu gut“ war, sei Graichen nicht bewusst gewesen.
Besonders pikant: Eigentlich wäre für die Besetzung der Stelle bei der staatlichen Agentur gar nicht Graichen zuständig gewesen, sondern Udo Philipp, ein weiterer Staatssekretär. Warum der außen vor bleibt und ob Graichen sich hier selbst vordrängte, um seinen Trauzeugen durchzudrücken, bleibt bislang unklar.
Dass Habeck auf der Pressekonferenz seinem entlassenen Staatssekretär – der den Spitznamen „Mister Wärmepumpe“ bekam – für seine Dienste für den Klimaschutz dankte, klang fast schon wie Realsatire.
Dass der Lobbyist der „Klimaindustrie“, der federführend bei den irren Heizplänen der Regierung war, aus dem Kabinett ausscheidet, ist eine gute Nachricht. An einen Kurswechsel im Hause Habeck und ein Trockenlegen des Verwandtschafts-Sumpfs zu glauben, fällt aber schwer. Vielleicht steht schon irgendein neuer Schwippschwager in der Warteschlange. Und die radikale, suizidale Klimapolitik wird Habeck auch ohne Graichen fortsetzen – die Weichen sind gestellt. Dass Habeck sofort mit dem Finger auf angeblich „rechtsextreme“ und „prorussische Accounts“ zeigt, statt Selbstkritik zu üben, zeigt, er hat sich von der Realität verabschiedet und lebt im rot-grünen Berliner Elfenbeinturm in seiner eigenen Welt.