Daniel Spoerri

1971 hatten wir Schüler der Malklasse in Basel einen Schülerrat gegründet. Als jemand, der Ideen beisteuerte, lud ich einige Zeitgenossen ein, um uns einen Vortrag zu halten. So kam Hannes Wader, der Liedermacher, Günter Wallraff, den ich aus meiner münchner Zeit kannte, weil er damals ein Vorwort schrieb zu dem unglücklichen Büchlein Nato unser von Ploog, das ich noch unglücklicher verlegte (Bagger haben die gesamte Auflage beim Abbruch des Hauses, in dem ich gewohnt hatte, eines Tags weggeschaufelt) und Daniel Spoerri. Er hielt vor allen Kunstschülern einen kauzigen Vortrag. Er sagte z. B.: Was treibt ihr hier? Niemand lernt etwas von Belang in einer Kunstschule. Undsofort.

Er kam gerade aus Mailand, wo die Gruppe der Nouveaux Realistes (Yves Klein, Caesar, Niki Saint Phalle, Tinguely u. a.) ein großes aufsehenerregendes Bankett gefeiert hatte. Am Abend saßen wir, einige Schüler und Spoerri, in einer Beiz wie die Basler sagen, beisammen, tranken fröhlich und hörten uns seine unglaublichen Geschichten an. Die Schweiz (das Land, in dem ihm sein Onkel das Überleben vor den Nazis ermöglichte) hielt er für grundfaschistisch. Er sagte: Hier könnt ich nicht mehr leben. Allein, wenn ich mit meinem Mantel durch die Straßen gehe, er trug einen außergewöhnlich riesigen schafsfelligen (ungarischen?) Hirtenmantel, fallen die Leute fast auf die Nase. Er lebte damals in Düsseldorf, wo er ein berüchtigt berühmtes Lokal betrieb. In dem bin ich Jahre später einmal eingekehrt, mit Maria Krahs. Seine Spezialität waren exotische Speisen, etwa Termiten in Pfannkuchen, Chow-chowzunge, Klapperschlangen-Geraspel und derlei. Ganz hinten in der Karte fanden dann die Leute, denen es grauste, einige europäische Gerichte, Steaks und derlei. Aber selbst davor grauste es einignen ein wenig, weil man nicht sicher sein konnte, ob das Rindfleisch nicht vom Schindanger war.

Spoeri erzählte in seinem Vortrag von der Eröffnung des Lokals. Er hatte die Schickeria Düsseldorfs eingeladen, stellte sich ans Mikrofon und sagte etwa: Bitte, verzeihen Sie, ich kann es Ihnen nicht verschweigen, das Fleisch, das Sie hier essen, ist dummerweise aus einer Notschlachtung, also von der Freibank, aber ansonsten ganz in Orndung.

Einigen schlug diese Mitteilung auf den Magen, sie hörten auf zu essen.

Nach einer Weile trat Spoerri nochmals ans Mikrofon: Entschuldigen Sie, ich muß meinen Koch mißverstanden haben, richtig ist, daß er meinte, er hätte genausogut Fleisch von einer notgeschlachteten Kuh nehmen können. Also, Sie können beruhigt weiteressen, es ist alles bestens.

Das Ergebnis war: jetzt hörten alle auf zu essen. Und das war beabsichtigt, denn Spoerri hatte gewettet, niemand könne nach zwei solchen Meldungen noch einen Bissen herunterkriegen. Soviel hatte er schon beobachtet: eine Kehrtwendung vollziehen Hartgesottene, aber eine zweite verträgt niemand. Erst dies, dann das. Alles konnte möglich sein. Das Vertrauen war dahin.

Das war Spoerris Anliegen, herauszufinden, daß im Kopf gegesssen wird. Das Fleisch war von der auserlesensten Sorte, aber niemand konnte es mehr esssen.

Es hatte sich schon zu uns Schülern herumgesprochen, wie sehr Spoeri diese Scherze ums Essen genoß. So hatten wir eine Überraschung für ihn vorbereitet. Wir luden ihn in die Wohnung eines Schülers zum Abendessen ein.

Es gab die längsten Spaghetti, die wir auftreiben konnten, giftgrün mit Lebensmittelfarbe eingefärbt. Teuflisches fluoriszierendes Licht besorgte den Rest. Niemand von uns kriegte drei Spaghetti hinunter. Aber der Spaß war gelungen. Anschließend saßen wir, wie gesagt, in einem Lokal und holten das Essen nach.

An einem Nebentisch saß Spoerris basler Galerist Handschin. Immer wieder mal schaute er zu uns herüber und ermahnte Spoerri, den Zug nicht zu verpassen. Handschin fühlte sich für seinen Künstler verantwortlich, wahrscheinlich bezahlte er seine Spesen. Es paßte ihm nicht, ihn so ausgelassen zwischen uns Schülern zu erleben (er zog uns ihm vor), und er verpaßte einen Zug nach dem andern.

Spoerri verzichtete auf den Obulus, den wir ihm für den Vortrag schuldeten und knüpfte folgende Bedingung daran. Wir sollten für die ganze Summe Bienenstisch kaufen, ihn auf ein Wägelchen packen, und den Bienenstich auf dem Schulhof an jedermann verteilen.

So geschah´s. Wir drehten eine Videosequenz davon, schickten sie an Spoerri, und er und wir waren´s zufrieden.

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Hexenprozesse


Zeichnung: Rolf Hannes

nicht ich
nicht ich

leise von jeder kachel
ein atom
hoffnung

täglich dieselben muster
fugen fliesen
fugen sie manchmal neu
auf klebrigrot
das reinigen sie
mit stahl
dieses gedankenbluten
wenn der glaube zerreißt

mit müden fingern
will ich mich halten
halten
im händefalten haftet ein rest
soll ihn abwaschen
in meinen becher
schütten sie desinfektion

schwarzes seelengesicht
sagen sie
du bleibst uns
maulgefesselt

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Erich Ortenau

Ortenau war ein Rädchen in der Hierarchie des Ifo-Instituts in München. Was genau er dort trieb und wie es um seine Familie stand, erfuhr ich nie. Ortenau war, wenn man ihm begegnete, jemand, der aus dem Nichts auftauchte und wieder im Nichts verschwand. Er war sich seiner und für die anderen genug. Wenn er in die Türkenstraße kam, in die
kleine Galerie Arion, die ich damals betrieb, gab er stets eine Probe seines Zehnminutenschlafs.

Er kam, setzte sich in ein Sesselchen und schlief seinen Wissenschaftler-Schlaf. Nichts
und niemand konnte ihn dabei stören. Manchmal, in der Phase des Übergangs vom
Wachen ins Schlafen, sagte er ein, zwei Sätze, mit geschlossenen Augen. Dann schlief
er seinen Schlaf, den ich lieber Gelehrten-Schlaf nenne, denn mehr noch als Wissenschaft-
ler war er durch und durch Gelehrter.

In seiner Unterhaltung konnte er sprühen von Geist und Witz. Auch Boshaftigkeiten und Sarkasmen lagen ihm, manchal auf Kosten andrer. Als er wieder einmal aus seinem zehnminütigen Schlaf erwachte, saß ich vor ihm in seiner Nähe. Ich hatte ihn eine Weile beobachtet, weil ich dahinterkommen wollte, wie es jemand schafft, kaum zusammengesunken in einem Sessel, also fast aufrecht sitzend zu schlafen.

Er sah mich unverwandt an und sagte: Wollen Sie wissen, wann das mit meinem Zehnminutenschlaf anfing? Nun denn, so erzähl ich´s Ihnen. Wie Sie wissen, hatten mich die Nazis aus meinem geliebten Deutschland vertrieben, bin in die amerikanische
Armee eingetreten und hab es schließlich zum Offizier gebracht. Als wir in Paris einrückten, hatte ich die Befugnis, in kulturellen Dingen mitzuentscheiden. Vor allem, wenn es um die Hinterlassenschaften von Deutschen ging.

So geriet ich eines Tags in ein Möbellager, worein die Franzosen Hab und Gut der vor und während der deutschen Besatungszeit zahlreich in Paris lebenden Exilanten gestapelt hatten. Meine Aufgabe war, festzustellen, ob es in dem Lager Dinge gab, die möglicherweise früheren Besitzern wiedergegeben werden konnten. Ich machte also eine Bestandsaufnahme, das ging über Tage.

Und so, als ich wieder einmal einen Schreibtisch in Augenschein nahm, stellte sich heraus, es war der Schreibtisch, an dem Heinrich Heine jahrzehntelang während seiner pariser Zeit geschrieben hatte. Diese Entdeckung erschöpfte mich so sehr, ich kreuzte meine Hände über der Schreibtischplatte, legte meinen Kopf darauf und schlief ein. Es war mein erster Zehnminutenschlaf. Während des Einschlafens dachte ich noch, ich bin wieder zuhause.

Sie müssen wissen, alles aus Heines Wohnung war seiner Zeit unter den Hammer gekommen oder auf den Müll gewandert. Wahrscheinlich war dieser Schreibtisch nicht in die Versteigerung geraten, aus welchen Gründen immer. Und später geriet er in Vergessenheit. Ich hatte meinen Kopf darauf gelegt und kurz geschlafen, und was soll ich Ihnen sagen, während dieses Schlafs entschied sich der Schreibtisch für mich. Den Seinen gibt´s der Herr im Schlaf, auch im Zehnminutenschlaf.

Niemandem verriet ich meine Entdeckung. Sofort hätten sich mehrere gemeldet, die ihn sich hätten unter den Nagel reißen wollen. Er war aufgelistet als Schreibtisch unter Schreibtischen, und niemand interessierte sich für ihn. Jeden der verbleibenden Tage im Lager legte ich meinen Kopf für einige Minuten schlafend auf ihn. So überraschte mich einer meiner Vorgesetzten. Major, ich habe für mich den Zehnminutenschlaf entdeckt, sagte ich zu ihm. Sind Sie denn nicht längst fertig mit der Auflistung? fragte er.

Das schon, aber ich hatte in der Nähe zu tun, und so kam ich mein Schläfchen zu halten.

Nehmen Sie ihn mit ins Hotel, wenn er Ihnen so gut gefällt. Sollte sich ein Besitzer melden, können Sie sich immer noch von ihm trennen.

Schweigend und fasziniert, wie immer, wenn Ortenau etwas zu erzählen hatte, saß ich vor ihm. Es wäre jammerschade und garadezu grotesk gewesen, wäre diese Kostbarkeit ins Haus eines Spießers geraten, dachte ich. So aber hatte sie einen würdigen Nachfolger gefunden.

Sie besitzen also Heines Schreibtisch, Heinrich Heines Schreibtisch, hier in München? Ja, sagte er einfach, und jeden Tag lege ich meinen Kopf auf ihn für einen Zehnminuten-schlaf.

Fußnote:

Sich vorzustellen, wie einer mit dem Kopf (er hatte immerhin die gekreuzten Arme dazwischen) auf einer Schreibtischplatte ruhend schläft, ist schwierig. Es klingt nicht allzu glaubwürdig. Aber, nehmen wir an, er hat gar nicht richtig geschlafen, es war mehr ein Tagträumen, und Ortenau wollte möglicherweise eine unmittelbare Verbindung zu dem Schreibtisch herstellen. Und diese Herzensverbeugung hat er in den folgenden Jahren immer wiederholt.

Ortenau war von der Spezies, die auszusterben droht. Wahrscheinlich war er viel zu gebildet, um wirkliche Karriere zu machen, er hatte andres im Kopf. Gekleidet ging er fast nachlässig. Sein Geld verschwendete er an Bücher, Bilder, Musik.

Der Jude E. O. war von der Rasse, wie man sie sich deutscher nicht vorstellen kann. Dieses Schicksal hatte er mit Heine gemeinsam. In einigen Juden verband sich ihre
jüdische Disposition so sehr mit Deutschem, ich möchte behaupten, sie stellten den Idealtypus des Deutschen schlechthin dar: Walter Rathenau, Moses Mendelssohn,Walter Benjamin

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Verlassener Sportplatz

 


Bild: Rolf Hannes

Das war eine andere Zeit,
in einem anderen Leben,
als von einer Glücksfee ausgelost,
bei unterklassigen Zitterpartien
einer immer da sein mußte,
der gegen das Fluchen von Abwehrrecken
sein Stottern vergaß,
eine Fahne aufhob,
mit ihr in Richtungen zeigte,
und eine krummgestreute Auslinie entlang
in seiner Schmächtigkeit
auf und abging,
bis seine Sonntagsschuhe
weißbestäubt waren
vom Kalk.

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Die Brechnuß

Auf dem Katzenbuckel, der höchsten Erhebung des Odenwalds, hatte in den Zwanzigern und Dreißigern des vorigen Jahrhunderts ein Schäfer namens Bukowski seine Lieblingsrast. Manchmal blieb er mit seiner Herde dort in lauen Herbstnächten selbst übernacht. Er war vernarrt in die Lieblichkeit dieser Odenwälder Landschaft mit ihren sanftgeschwungenen Bergrücken. Wenn er in aller Frühe wach wurde, kletterte er aus seinem gesteppten Schafsfellmantel, holte sich ein wenig Tau von einigen Sträuchern in die Handflächen, strich damit übers Gesicht, rieb sich die Augen ein zweites Mal und wußte, sie waren bereit, sich am Anblick über die anderen Hügel hinweg bis ins Neckartal zu erfreuen.

Der Schäfer versorgte in seiner Herde auch sieben bis zwölf Schafe des Klosters Neuburg, sozusagen in Obhut. Doch unter den Schafen, die er seine eignen nannte, gab es einige von einem Bauern aus Buchen. Dieser Bauer war ein etwas sehr hitziger Kerl. Er behauptete öfters, wenn ihm die Schafe, so wie es vereinbart worden war, Ende des Frühjahrs zurückgebracht wurden, das seien nicht die seinen, er hätte größere, stämmigere, gesündere gehabt, und überhaupt hätte er einige neugeborenen Lämmer mehr erwartet. Bukowski, der sich mit seinen Schafen gut verstand und sie auch alle kannte, wurde dann unsicher. Waren das nun die Schafe und Lämmer des Bauern, oder waren sie´s nicht. Schafe sehen sich sehr ähnlich, auch in ihren Eigenschaften, ihr Blöken ist kaum zu unterscheiden.

Bukowski sagte zum Bauern: Sieh her, wir haben sie doch an den Ohren gekennzeichnet. Diese Kerben, solche haben nur deine Schafe. Mehr Lämmer haben sie nicht geworfen. Das sagst du, erwiderte der Bauer, schon ziemlich in Fahrt, du kannst mir alles weismachen, diese Kerben sagen gar nichts.

Mit dem Kloster kam der Schäfer besser zurecht. Die Mönche waren sehr zufrieden mit seiner Arbeit, und hin und wieder fragte einer von ihnen, ob er, Bukowski, nicht ins Kloster eintreten wolle, dann bekäme er und seine Herde ein festes Zuhause. Bald wären die Stallungen so ausgebaut, da sei für seine Herde genügend Platz. Ja, sagte Bukowski, da ist was dran. Eine Familie hab ich nicht, ein eigentliches Zusause auch nicht. Ich liebe die Stille, euer einfaches Leben gefällt mir. Ich werd´s mir überlegen. Und mein treuer Hund wird sich auch ins Klosterleben fügen, nehme ich an.

Das Kloster hatte eine bewegte Vergangheit hinter sich, bis zuletzt unter immer neuen Besitzern die der klösterlichen Askese geweihten Räume in Salons umgewandelt worden waren. Nun versetzten die wiedereingekehrten Benediktiner nach und nach die ehrwürdige Abtei in den früheren Zustand. Den ehemaligen Klostergarten, den sie als eine herrschaftliche Grünanlage vorfanden, verwandelten sie in einen Gemüse- und Kräutergarten.

Wenn die Lämmer zur Welt kamen, so um die Weihnachstszeit, hielt der Schäfer seine Herde unten im Tal in einem alten Schuppen beisammen. Sommers hatte er mit einigen Laienmönchen von Neuburg soviel Heu und Stroh in den Stall geschafft, wie es fürs Fressen und Liegen und Lämmerwerfen nötig war. Das war die Zeit, wo Bukowski zum Lesen kam. Er hatte einige alte Schwarten schon zum xten Male gelesen, aber er las sie nochmal. Er war wie ein Kind, das die Geschichte, die es längst kennt, wieder und wieder hören will. Sein Lieblingsbuch war Meister Humphreys Wanduhr von Charles Dickens. Wenn er nicht las, döste er vor sich hin, guckte nach seinen Schafen, war besorgt um die Mütter, die ihre Lämmer schon hatten oder bald bekamen, summte seine Liedchen, strickte riesige Schals aus gesponnener, häkelte Wämser und Pantoffeln aus ungesponnener Wolle. Er hatte sich einen kleinen Anbau gezimmert. Darin war ein Öfchen mit einem durch den ganzen Raum gehenden Rohr, ein Tisch, der zur Hälfte von Büchern besetzt war, davor ein Hocker und in einer Ecke eine Pritsche voller Schafswollmäntel und –decken. In einer andern Ecke lag ein Haufen ungesponnener Wolle, die er, so natürlich wie sie war, von allen Spreiseln säuberte, dann auffaserte und überm Knie zu Fäden rollte. In die Wolle hineingekuschelt lag sein Hund Bobbi, ein ungarischer Schäferhund. Sagte er zu ihm, hier bleiben wir, halt die Herde zusammen, dann rührte kein Schaf sich mehr vom Fleck. So genau nahm er´s als Hirtenhund, Menschen behandelte er freundlich, nie hätte er einen angefallen.

Die Verabredung mit dem Kloster war so: Jeweils zwei der älteren Schafe und drei der letztjährigen Lämmer lieferte Bukowski vor Ostern im Kloster ab. Gleichzeitig auch Selbstgestricktes und Gehäkeltes, das im Kloster begehrt war. In Empfang genommen wurde das alles von Bruder Ägidius, er war der unter den Mönchen, der sich am besten auf Ackerbau und Vieh verstand. Er war gleichfalls für den Kräutergarten zuständig. Und es verging kein Besuch des Schäfers, wo er sich nicht die Neuerungen darin hätte zeigen und erklären lassen. Er hatte, angestachelt durch die Begegnungen mit Bruder Ägidius, ein eignes Kräutergärtchen neben seiner Behausung angelegt und erweiterte es von Jahr zu Jahr dank der Pflänzchen, die ihm Ägidius schenkte.

Eines Tags hielten die beiden während sie durch den Kräutergarten schlenderten vor einem Strauch an. Das ist ein kleiner Brechnußstrauch, erklärte der Mönch. Es heißt, die Jesuiten hätten im 17. Jahrhundert die Samen aus China mitgebracht. Er beginnt gerade zu blühen und trägt im Herbst Früchte, die wie Zitronen aussehn. Unser Mönch, unser Apotheker, schwört auf sie. In seinem Labor extrahiert er einige Bestandteile aus den Kernen und verabreicht den Sud, den er daraus herstellt, gegen Magenbeschwerden, Krämpfen, Erkältungen und Darmkrankheiten, streicht ihn sogar auf Wunden. Er beliefert viele Klöster mit dieser Arznei und ist sehr stolz darauf. Seine Rezeptur hält er geheim, denn er sagt, wenn sie in falsche Hände gerät, könne sie Unheil anrichten. Wie immer, sagte Ägidius, das was heilt, kann auch, in falschen Händen, Unheil anrichten.

Im darauffolgenden Herbst ließ der Schäfer sich eine Frucht dieses Brechnußstrauchs schenken. Gleichzeitig kaufte er in der Klosterapotheke ein Fläschchen, worauf stand: Extrakt der Bitteren Fiebernuß. Der Apotheker schrieb ihm auf einem Zettel genau auf, wieviel Tropfen er bei welcher Krankheit einnehmen dürfe. Das war ziemlich einfach, denn der Schäfer kannte keine andre Krankheit, als hin und wieder eine Erkältung. Fühlte er sich ein wenig fiebrig, da er sich unterkühlt hatte, nahm er die vorgeschriebene Anzahl Tropfen, und sofort verspürte er Linderung.

Das nächste Frühjahr kam, und wiederum der Ärger mit dem Bauern aus Buchen. Wenn er nicht endlich aufhöre, ihn zu betrügen, schrie er, käme er selbst hin zu seiner Bruchbude, um nach dem Rechten zu sehn. Dann werde er schon herausfinden, welche Schafe ihm gehörten oder nicht. Bukowski, der diesen unnötigen Streit leid war, hatte, um allem vorzubeugen, ein Schaf mehr dabei, als dem Bauern zustand. Das machte den erst recht argwöhnisch. Ich will kein andres Schaf von dir, krakeelte er, ich will meine eignen zurück, vor allem ihre Lämmer.

Wenige Tage darauf erschien der Bauer wirklich vor Bukowskis Schuppen. Er war gerade dabei, den Saft, den er aus seiner Zaubernußfrucht (wie er sie nannte) ausgekocht hatte, in eine Flasche zu füllen. Wenn der klösterliche Trunk ihm half, glaubte er, so würde er auch seinen Schafen nützlich sein. Manchmal lahmte ein Tier, ein andres hatte keine rechte Lust zu fressen. Der Apotheker hatte ihm versichert, die Arznei helfe auch gegen Appetitlosigkeit. Nun denn, vielleicht erfinde ich ja ein Universalheilmittel. Solche Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als der Buchener erschien und gleich fluchte: Wo ist dein verdammter Hammel? Wenn er mir hier nicht zu Lämmern verhilft, dann nehm ich ihn mir halt mit. Er versuchte, sich des Schafsbocks, der abgesondert von der übrigen Herde in einem kleinen Verschlag stand, zu bemächtigen. Der ließ sich nicht am Kopf fassen, schon gar nicht von einem Fremden, stieß heftig zu, drehte sich ein paarmal um die eigne Achse und schlug mit seinen Hinterbeinen aus, so daß der Mann strauchelte und der Länge nach in den Mist hineinschlitterte.

Wie wenn er durch sein Hinfallen zur Besinnung gekommen wäre, überlegte sich der Bauer eine neue Taktik. Hilf mir auf, sagte er, dein Bock hat mich fast umgebracht. Behalt die Bestie, gib mir einen Schluck zu trinken. Du wirst doch einen guten Schluck im Hause haben? Ja, sagte Bukowski, und noch bevor er mit seinem Besucher einige Obstler trank, tupfte er ihm den Rücken ab mit seiner neuen Erfindung. Wenn das Zeugs so gut ist für innen wie für außen, wie du meinst, dann schenk mir die Flasche als kleine Wiedergutmachung, sagte der Bauer. So geschah´s. Der Schäfer trennte sich nur ungern von seinem selbstgebrauten Saft, doch er war froh, seinen Widersacher loszuwerden. Nach Wochen erreichte ihn die Nachricht, ein Bauer aus Buchen sei eines plötzlichen Tods gestorben, wahrscheinlich sei ihm das Herz stehengeblieben in einem Tobsuchtsanfall.

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Aus der Tiefe

 


Holzschnitt: Rolf Hannes

Ausgeworfen vom Leben
in eine Wüste aus Fragen gestellt
sind wir nackt
und ruhen auf Betten aus Stein
leere Nächte legen sich
auf unsere Heimstatt

Alles ist weit

Aber wir haben
noch unsere Gedanken:
Die können wir knüpfen und stricken
zu einem Traum
stark genug
Engel zu tragen

Vorsichtig schauen wir
durch die Dunkelzeit
aufwärts

Auf eine andere Seite von uns
die näher ist
als wir denken

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Burano

Burano

Sie ist die kleinste bewohnte Insel von allen venezianischen, wenn man von den ganz kleinen, verstreut in der Lagune liegenden absieht. Zwischen ihr und Venedig liegt Murano, sie bereitet einen vor: ihre Häuser sind nicht halb so prächtig, nicht halb so groß wie die Venedigs. Und dann Burano, mit Häusern nicht halb so groß wie die Muranos, von Pracht ganz zu schweigen.

Der erste Eindruck ist der eines Spielzeugdorfs. Liliputland. Die in allen Farben hübsch gestrichenen Häuschen stehen da wie für eine Theaterkulisse gemacht. Kein großes Theater, ländliches Stegreiftheater, eine kleine Commedia dell´arte. Wo von drei Häusern das mittlere ein wenig zurückgesetzt steht, braucht es nur ein Laken auf einer Wäscheleine, und die Bühne ist bereitet.

Als wir zwei Männer sahen, die eine Leiter trugen, sagte meine Freundin: Das hat mit Arbeit nichts zu tun. Sie tragen sie nur zum Spaß.

Sie gingen auf ein Haus zu, aus dessen kleinem Fenster in der Giebelspitze ein Eisenstück herausragte, woran ein Flaschenzug hing. Auf halbem Weg hielten sie an, legten die Leiter behutsam aufs Pflaster und wechselten die Stellung. Der zuerst hinten trug, schritt jetzt vorne und umgekehrt. Aber nicht nur die Reihenfolge wechselten sie, sie wechselten auch die Schultern.

Bevor sie die Leiter hochhoben, bedeutete der Vordere seinem Kollegen, auf welche Schulterseite die Leiter nun zu liegen käme. Er zeigte das an, indem er mit der flachen Hand die Stelle tätschelte.

Am Ziel angekommen, waren sie sich nicht schlüssig, welches Ende der Leiter an die Hauswand zu lehnen sei. Nur Eingeweihte wissen, daß manche Leitern mit zweierlei Enden ausgerüstet sind.

Solche Männer haben zuhause Frauen, die mit flinken Händen unermüdlich Spitzen klöppeln. Nicht alle Touristen können echte erwarten, das ist einfach nicht zu schaffen, also schummeln sie Fabrikware darunter. Das geben sie freimütig zu, nur von der, die sie einem unter die Nase halten, beteuern sie, sie sei echt und fassen sich ans Herz.

Viele der kleinen Häuser haben so wenig Platz, da müssen nasse Stiefel und Schuhe draußen bleiben. Sie stehen aufgereiht in den Türecken oder auf den Fenstersimsen, an denen auch die regennassen Schirme hängen. Hinter der Haustür liegt nämlich gleich die gute Stube.

Solch kleine Inseln wie Burano müssen haushalten mit jedem Quadratmeter Boden. Manchmal haben sie nichtmal Platz für Bäume oder Gärten. Nur eines haben sie im Übermaß, Sinn für Schicklichkeit und Ordnung.

Ich habe Inseln besucht, etwa vor der Atlantikküste Frankreichs, wo es nicht einen einzigen Baum gab, und doch war alles zum besten bestellt. Die Frauen trugen mit Würde und Stolz einfache schwarze Kleider, bei den älteren reichten sie über die Knöchel. Nirgendwo gab es Unrat oder halbherzig Zusammengeflicktes. Alles, die Häuser, die Gerätschaften, die Menschen, die Tiere lebten im Einklang mit sich, dem Wasser, dem weiten Horizont, der Erde.

Dieses Bild möchte ich auf Burano übertragen, allerdings hat es ein paar Bäume und Sträucher, und die Frauen schmücken sich mit Farben. Das Klare und Unverfälschte könnte auch ihre Sache sein, gäb es nicht diesen alles korrumpierenden Tourismus. Wir haben uns Burano im Winter angeschaut, bei Regenwetter (wohlwissend, daß auch wir Touristen waren), aber im Sommer muß es unerträglich sein. Wo soll denn diese kleine Spielzeuginsel mit all den vielen Touristen hin, wenn sie nichtmal Platz für ihre nassen Schuhe hat.

Ein Freund sagte mir einmal, er sei überzeugt, die Menschen auf Inseln (wenn sie nicht zu groß sind) und in den Bergen seien von ganz besondrer Art. Für beide träfe es zu, daß die Natur sie erziehe. Schlamperei und Großspurigkeit könne nicht so gedeihen wie anderswo, denn die Schönheit und Unbedingtheit der Umgebung fördere ein Gespür für Schönheit und Maß.

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Selbstdünkel

 


Zeichnung: R. H.

Kuo Dsu I , der Premierminister der Tang Dynastie, war ein hervorragender Staatsmann, ein ausgezeichneter General und der meist verehrte Held seiner Tage. Aber Berühmtheit, Macht, Wohlbefinden und Erfolg konnten ihn nicht abhalten, großes Interesse für den Buddhismus zu hegen. Als emsiger und demütiger Buddhist besuchte er oft seinen Zenmeister, um von ihm zu lernen. Er und der Zenmeister verstanden sich seit langem sehr gut. Daß er der Premieminister war, schien keinen Einfluß auf ihre Verbindung zu haben. Es gab keine nennenswerte Höflichkeit seitens des Zenmeisters, noch eitlen Hochmut seitens des Premierministers. Die Verbindung schien eine rein religiöse zu sein zwischen einem verehrten Meister und seinem bescheidenen Schüler.

Als er sich eines Tags zu einem Besuch beim Zenmeister einstellte, fragte er folgendes: Euer Ehrwürden, wie erklärt der Buddhismus Selbstdünkel? Im nu verfinsterte sich das Gesicht des Zenmeisters, in sehr überheblicher Weise sagte er zum Premier: Was sagst du da, du Dummkopf?

Dieser unerwartete Angriff beleidigte die Gefühle des Premiers und Ärger zeigte sich in seinem Gesicht.

Da sagte der Zenmeister lächelnd: Eure Exzellenz, das ist Selbstdünkel.

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Von der Beschaffenheit des Staunens (5)


Zeichnung: Rolf Hannes

Ist jetzt
das Gewesene vergangen
oder das Vergangene gewesen,

da: im Kristallschimmer
eines solchen Weinglases,
drittletztes der Aussteuer,

vom drallischen Gefuchtel
einer Gegenrede umgestoßen,

wie bernsteinern umfangen,
bei diesem Seufzton
beim Zusammenkehren

dem kühlen Dunkel der Speis,

wo der Tag darauf die Scherben dann
noch zum Verstopfen nahm
von einem Mausloch.

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An unsre Leser

futura99phoenix wurde von vielen Quellen aus politischen Motiven willkürlich abgeschnitten. Das gilt besonders für die Informationen von Boris Reitschuster. So kehrt unsre InternetZeitung (nicht ganz unglücklich) wieder zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurück, nämlich zur Schönen Literatur. Es bietet sich an, Texte aus vergangenen Jahren wiederzubeleben. Wir hoffen auf Verständnis und Treue unsrer Leser.

Rolf Hannes

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