Karl Heinz Schellenberg

Es gab einen älteren Herrn, etwas klapprigen Gestells, mittelgroß, schütteren grauen Haars, der stand auf allen wichtigen Kunstereignissen Münchens herum, ganz gewiß bei Auktionen: Weinmüller, Karl & Faber, Ruef, Ketterer. Sein Gesicht hatte die rosige Haut eines Äpfelchens, schon etwas ältlich, dennoch glatt und rosig. Die Augen darin waren blaue, wäßrige, runde Sternchen, die seinem stetigen Lächeln etwas Überlegenes, Gescheites, Unverschämtes verliehen. Wenn ich ihn beobachtete, wie er mit anderen beisammenstand, wußte ich sofort, daß er sie beherrschte, mit seinem Wissen, mit seinem Witz.

Als ich ihn kennenlernte, bestätigte er genau meine Vermutung. Es gab kaum jemanden, der sich besser ausgekannt hätte in Kunst und Literatur. Schellenberg war der Sammler par exellence, sein Wissen profund. Aber es häuften sich bei ihm keine Schätze an, weil er bald weiterverkaufen mußte. Er verkörperte das Paradox eines Sammlers ohne Sammlung. Es fehlte an ererbtem oder erschwindeltem Reichtum. Seine Wohnungen waren dürftig und klein. Er war ein unbehauster Junggeselle, der häufig umzog. Mit den Jahren wurde sein Spott und Witz schärfer, bissiger. Er war, recht betrachtet, ein großer Zyniker, aber wie oft bei zynischen Menschen, von erlesenen, geradezu altmodischen Umgangsformen.

Meine Beobachtung ist, der wahre Zynismus, der jedes und alles mit beißendem, ätzendem Spott und Witz bedenkt, erfordert gewissermaßen ein Gefäß der vollendeten Lebensart. Es ist das notwendige Korrektiv, ohne das er sich selbst aufzehrte. Es hat die Funktion der Schleimhaut des Magens, ohne die sich der Magen selbstverdaute.

Schellenberg kannte einen Zinnfigurengießer am Ammersee. Den überredete er, nach seinen, Schellenbergs Vorlagen, Figuren zu gießen. Aus diesen baute er Dioramen, oft höchst gelante unanständige Szenen: Ludwig den Vierzehnten unter seinen Gespielinnen im Hirschpark, den nackten Casanova als Lustobjekt zwischen den maskierten Prinzessinnen des versailler Hofs. Auch vor de Sads Ausschweifungen machte er nicht halt. Mir schenkte er ein Kästchen, in dem der Kampf der Lydier gegen die Amazonen zu bestaunen ist. Schellenberg bekannte, nichts an seinen Dioramen sei erfunden oder übertrieben. Meine Szenen sind historisch exakt und verbürgt, sagte er. Für die Hintergründe benutzte er, wenn es ging, alte Stiche. Wenn er ein wüstes Gelage im schwedischen Heer des Dreißigjährigen Kriegs konterfeite, so war ihm ein Stich von Merian oder der Schedelschen Weltchronik gerade recht für den Hintergrund

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Wie ein Gemälde von Picasso

Als ich heute erwachte war
an meinem Körper einiges verRückt
aus der Stirn ragte die Nase wie
beim Einhorn auf den Schultern
saßen die Ohren wie
militärische Abzeichen
ein Auge oben eins unten
sowie ein schief
lächelnder Mund mit
einem Geklimper von Zähnen
und innen erst!
war mir das Herz zu Kopfe gestiegen
während tief im Bauch das Gehirn
nistete wie die Frucht
einer Schwangeren
ich wusste nicht mehr wer
ich war aber ich fühlte mich
wie ein Gemälde von Picasso

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Alastair

Einer der exotischsten Menschen, denen ich begegnet bin, war zweifellos Alastair. Krischan Hirschs Freund Berling hatte einen Film gedreht mit diesem seltsamen Menschen. Er brachte Alastair an einige der Orte, wo er einmal gelebt hatte, etwa in das Schlößchen Lustheim, eines der Gebäude der Schloßanlage Schleißheim.

Alastair lag auf einem Hotelbett, in einem weiten seidenen Kleid in Weiß mit schwarzen Punkten und grauen Schraffuren darauf, eher ein Hosenanzug, bauschig und weitärmelig. Ich dachte, dieses Wesen ist nicht hergegangen, es ist geflogen und hat sich hier niedergelassen, erst herumgeflattert, sich stoßend an der Begrenzung des Zimmers, an Lampe und Vorhangstange. Nun muß es wieder zu Kräften kommen.

Aus welcher Zeit kam dieser Vogel dahergeschwirrt? A. hatte im moulin rouge jene sagenhafte Yvette Guilberrt tanzen gesehn (Toulouse-Lautrec hat sie auf seinen Plakaten lithografiert) und hatte als junger Mann vor der Jahrhundertwende auf einer londoner Bühne selbst zu tanzen begonnen, unter dem Gejohle des Publikums.

Er hatte kostbare bibliophile Bücher illustriert: E. T. A. Hoffmann, G. Meyrink, Prosper Mérimée, Edgar Allen Poe. Alastair mochte es nicht, mit Beardsley verglichen zu werden. Er sagte: Ich bin viel exzentrischer, viel schwindsüchtiger als Beardsley. Einiges hat er auch übersetzt, vortrefflich Theophile Gautier, und, man stelle sich vor, Emile Zola.

Man munkelte, A. sei das illegitime Kind des englischen Königs mit einer spanischen Tänzerin. Er sei dann einem Baron Voigt untergeschoben worden. Vom englischen Königshaus erhielt er eine lebenslange apanage, so wollten es jedenfalls einige Gerüchte, die Alastair eifrig schürte.

Sein Markenzeichen war ALASTAIR, der gefallene Stern. Unter Freunden nannte er sich Hanaël. Eine Zeichnung, die ich besitze, hat er so signiert. Sie entstand im Flugzeug bei den Dreharbeiten von Berlings Film. Wenn er jedoch von sich sprach, nannte er sich die Großen Katzen: der Plural ist bescheidener, ich könnte niemals sagen die Große Katze.

Die Großen Katzen haben schlecht geschlafen, sie grämen sich über die Torheiten in der chinesischen Botschaft.

Er las regelmäßig mehrere Tageszeitungen, englische, französische, spanische. In der Folgezeit, nachdem er sich durch Berlings Film wieder München angenähert hatte, wohnte er monatelang in der Pension am Biederstein. Dies Haus schien für A. gemacht. Es stand in einem verwilderten Garten, geduckt zwischen Sträuchern und Spalierbäumen, im Besitz und unter der Führung einer Gräfin. Wenn ich das Grundstück betrat, wars mir, wie wenn ich aus der Welt geriete, exterritorial. Es konnte kein altes Haus sein, aber alles an ihm benahm sich uralt. Türen, Treppen, Dielen, alles hatte seine eignen ehrwürdigen Geräusche und Gerüche. Empfangen wurde ich von einem der dienstbaren Mädchen mit artigstem Benehmen. A. erzählte, sie kämen aus England, hätten den Schliff und die Anmut der Damen am früheren englischen Hof.

Dann stand ich vor Alastairs Zimmertür, und da sie ledergepolstert war, kratzte ich sanft mit den Fingernägeln daran, bis eine Stimme von innen rief: Die Großen Katzen lassen bitten. A. lag in einem Bett, die Decke aufgeschlagen, hatte eins seiner kostbaren, selbstentworfenen Kleider an, um den Hals eine plissierte Krause, die Füße steckten in Ballettschuhen mit pompons verziert.

Tageslicht war A. verhaßt. Ich hab ihn nie angetroffen bei einem Schimmer von Tageslicht, das wurde ausgesperrt wie der ärgste Feind. Spärliches elektrisches Licht und einige Kerzen erhellten den Raum wie in einer ausgeklügelten Inszenierung. Seine Haut vertrüge kein Sonnenlicht, behauptete A. Im übrigen mache es die Menschen häßlich. Er erinnere sich einer Matinée in Paris, die Menschen seinen alle so gräßlich entstellt gewesen, selbst Isidora Duncan, sonst eine bezaubernde Schönheit, hätte ausgesehn wie eine übernächtigte Maus. Dann erzählte er von ihrem tragischen Tod. In einem offenen Wagen sitzend, bei einem ihrer unzähligen dandies, habe sich ihr shawl (sic!) in einem Reifen verfangen und sie erdrosselt. Das war ein Tod nach seinem Geschmack.

Er hatte alle Tänzerinnen und Tänzer der Welt gekannt, ihre abseitigen Karrieren und Kabalen. Er hielt sich selbst für einen der größten. Zeichnen sei nur ein netter Zeitvertreib, um die Fantasie zu beflügeln.

A.s Gesicht war sorgfältig geschminkt, eine meißner Figurine aus dem Rokoko: über weißem Puder waren die Wangen fein gerötet, so auch die Lippen, und feine Bögen in Schwarz wölbten sich über den Augen. Nichts Aufdringliches oder gar Vulgäres hatten diese Verschönerungskünste. Seine Stimme war klar und bestimmt. Und seine Texte erinnere ich als völlig unsentimental. Er hatte einen Hang zu sarkastischem Witz und pointierten Scherzen. Von K. H., der in seinem jugendlichen Eifer glaubte, ihm etwas Besonderes schuldig zu sein, sagte er, und es klang weder boshaft noch gekünstelt: Beugt er sich über mich und küßt mich. Was glaubt denn dieser süße kleine Strolch? Kommt und will mich abschlecken. Wir konnten herzlich lachen.

Einen Sommer lang hielt sich A. in Bad Nauheim auf. Er beklagte sich, er wäre verloren in diesem Kaff, niemand besuche ihn usw. Ich meldete mich an und schrieb, ich brächte jemanden mit, einen jungen Fotografen. Wenn er jung und schön und manierlich ist, bring ihn mit, schrieb A.

Wir fuhren hin. Der junge Fotograf war Peter Thomas, er war Berufsfotograf, hatte Sielmann bei seinen ersten Tierfilmen assistiert und ist später von München weg nach Kanada gegangen, um Hausfotograf eines reichen Kanadiers zu werden, der soviel Land besaß, daß er mit seinem Flugzeug darüber hin- und herflog.

Ich hatte P. Th. eine tolle Story versprochen. Einen seltsameren Vogel hast du dein Lebtag nicht gesehn. Das wird ein verrücktes Buch werden, du wirst sehn (ich hatte tatsächlich vor, ein Buch zu machen). Wir fuhren also nach Bad Nauheim. Schwierigkeiten vonseiten A.s befürchtete ich nicht, immerhin hatte ich mich mit einem professionellen Fotografen angemeldet. Er bewohne die Fürstensuite (das war natürlich übertrieben, aber A. liebte solche Scherze) eines allerdings nicht allzu umfangreichen Hotels, die übliche Szene. Schwere damastene Vorhänge ließen nicht eine Spur Tageslicht ins Zimmer, obwohl die Fenster sperrangelweit geöffnet waren. Aus einiger Entfernung schwappten Musikfetzen durch die sich bauschenden Vorhänge. Es waren die Klänge des Kurorchesters. O wartet nur, gleich kommt die schöne blaue Donau, ich kenne das Repertoire auswending, sagte A.

Von P. Th. nahm er kaum Notiz. Der saß da wie gelähmt, unfähig auch nur eine Kamera in die Hand zu nehmen, geschweige zu fotografieren. Unter einem Vorwand trafen wir uns außerhalb A.s Zimmer und besprachen, was zu tun sei. Ich sagte: Peter, nimm einen deiner Apparate und leg los. Du kriegst nie mehr eine solche Gelegenheit. Peter entgegnete: Ich weiß nicht, was es ist, ich fühle mich außerstande zu fotografieren, bin wie paralysiert, verstehe auch nichts von eurer Unterhaltung. Er schaut mich nicht mal an, wie wenn ich Luft wäre. Gut, sagte ich, für dich ist das alles neu, ich kenne ihn schon eine Weile und bin weniger befangen. Es ist doch bestens, wenn er dich kaum beachtet. Hol eine Kamera heraus und fang einfach an.

Wieder zurück bei A. begann die Qual von neuem. Peter saß wie hypnotisiert auf seinem Stuhl, ohne Regung, ohne sich am Gespräch zu beteiligen. Er saß da und wußte nicht wie ihm geschah. Und ich litt entsetzlich mit. Nur A. schien das alles nicht zu berühren. Nahm er an, Peter sei mein wortloser stummer Diener? Sah er über meinen fauxpas hinweg, ihn nicht vor der Tür gelassen zu haben? Solche Gedanken kamen mir später auf dem Heimweg. Wir fuhren lange Stunden von Nauheim nach München zurück. Beide waren wir von unserm Mißerfolg so verstört, stundenlang lastete Schweigen zwischen uns, dunkles, brütendes Schweigen. Wir fuhren durch die Nacht, schweigend, erschöpft. Mir war, wie wenn sich diese grausame höfliche Nichtbeachtung, die Alastair Peter gegenüber gezeigt hatte, auf mich übertragen hätte.

Peter, dieser muntere erfolgversprechende Fotograf war an diesem Nachmittag in einem Hotelzimmer in Bad Nauheim zu einem Nichts geschrumpft.

Später erwähnte ich in einem Gespräch mit A. beiläufig Peter Thomas, und wie sehr ich es bedauerte, daß damals keine Fotos entstanden seien. Fotos? Peter Thomas? Ich weiß von nichts.

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Flohmarkt

 

Zeichnung: Rolf Hannes

Sie hatten in Kammern und Kellern gekramt
so viele Jahrzehnte wiedergefunden
und alles in Kisten und Körbe verpackt.

Auf breiten Tischen boten sie
ihre Erinnerung feil und merkten
wie ihre Herzen Stück für Stück leichter wurden.

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Han San

Han San war von kleiner fast gnomenhafter Gestalt. Er hatte einen rundlichen Kopf, kurzgeschnittene, stachelige Haare oben, und Bartstoppeln im Gesicht, weil er sich nur selten rasierte. Aber sein Haarwuchs war spärlich, wie bei den meisten Asiaten, und so kam es nie zu einem Bart. Sein Kopf wär in einer Ansammlung von Feldfrüchten, Kohlköpfen, Kürbissen und dergleichen kaum aufgefallen. So taten ihm auch zwei Zahnlücken keinerlei Abbruch. Ich hatte den Eindruck, Han San hätte schon immer so aussehen müssen von Kindheit an. Er war 60 Jahre alt, erinnerte aber eher an einen schrumpelig vergreisten 20jährigen. Er hatte die springlebendige Beweglichkeit eines Jugendlichen. Wenn er den Berg herauf kam, mehr gesprungen als gegangen, sah ich sein silbriggrau bestoppeltes Köpfchen an einer Zickzacklinie entlang hüpfen.

Han San war einer der ihren Meister begleitenden 7 Mönche, und nachdem der Meister mit seinen Gehilfen uns 14 Tage und Nächte lang gehörig in der Kunst des Zazens unterwiesen hatte, dann sich zu einem anderen Ort meditativen Bemühens in Europa begab, ließ er Han San zurück, als Gast für die nächsten Monate, bis er, Juho Seki Roshi, wieder vorbeischauen würde.

Es waren genau 9 Monate, die Han San bei uns verweilte. Er sprach keine drei Worte Englisch noch eine andere Sprache, als sein Japanisch. Das einzige, was er je zu mir gesagt hat, war: Dürckheim spiku spiku nix gud. Und manchmal: olimpio, plimpio. Damals fanden gerade die olympischen Spiele in München statt. Meine Mutter hatte mir einen kleinen Schwarz-weiß Fernseher geschenkt, weil sie glaubte, kein Mensch könne in solcher Abgeschiedenheit ohne Fernseher sein.

Jedenfalls kam Han San für Stunden, meistens abends, zu mir und wir entdeckten gemeinsam die Freuden des Fernsehens. Er saß mit untergeschlagenen Füßen auf einem Stuhl, schaute mit seinen flinken schwarzen Äuglein (die Augen waren das einzige dunkle in seinem Gesicht, dunkel nur in bezug zum Äußeren, denn wenn ich in seine Augen schaute, wurde mir ganz hell und fröhlich zumute) und schlief regelmäßig ein. Irgendwann schreckte er auf, glitt vom Stuhl und war weg. Nie hatte ich angst, er könne schlafend vom Stuhl fallen.

Wir haben viel miteinander gelacht. Lachen war unsere Konversation. Von Woche zu Woche unternahmen wir mehr miteinander, zum Schluß verbrachten wir ganze Tage zusammen. Das Schlimme war, je mehr wir zusammensteckten, umso mehr zog sich das offizielle Rütte von Han San zurück. Er begann in Ungnade zu fallen, als er eines heiteren Mittags, während des gemeinsamen Mahls im Gästehaus in das muntere Gequatsche beim Essen seine Pranke auf den Tisch sausen ließ und in die daraufhin entstandene erschreckte Stille hinein furchterregend zu brüllen anfing. Wie ein Orkan rülpste er in seinem Zen-Japanisch aus dem Bauch heraus. Es war ein so unerhörter, unerwarteter Donnerschlag, man hätte davon erleuchtet werden können. Statt dessen zogen es einige Damen vor (es waren welche adeligen Geblüts darunter), den Speiseraum zu verlassen. Fortan ward Han San zum gemeinsamen Gästemahl nicht mehr zugelassen.

Wochen später zersplitterte sein Kesaku (das ist eine Art großer Bratenwender aus Holz) auf dem Rücken eines Gastes während des morgendlichen Zazen. Das rüttische Zazen verlief nach den Regeln der Rinzai-Sekte. Während der Meister (in dem Fall Dürckheim) mit seinen Schülern (Gäste und Mitarbeiter) sich in Zazen üben, geht einer der Meisterschüler (in diesem Fall Han San) mit äußertst langsamen Schrittchen, die Ferse des einen Fußes in Höhe und Kontakt des großen Zehs des anderen setzend, die Reihe der Sitzenden ab. Der Sitzende sieht alle Ewigkeiten die Füße des vorbeischleichenden Mönchs in seinem Blickfeld: es sind die Tritte eines Panthers kurz vorm Sprung auf die Beute. Der Schüler, der seine Konzentration schwinden spürt oder eine Verspannung im Rücken oder sich sonstigen Qualen ausgeliefert fühlt, bittet, wenn die Füße in sein Blickfeld gelangen, um einige aufmunternde Schläge mit dem Kesaku auf die Schultern. Diese Schläge, eingebettet in ein Zeremoniell gegenseitiger Verbeugung, wird vom Schüler als große Hilfe und Zuwendung verstanden, niemals als Tadel oder gar Züchtigung.

In Zen Anekdoten kommt aber auch das andere vor: nämlich, der Meisterschüler baut sich vor dem nichtsahnenden Meditierenden auf und noch ehe der sich versieht, landen auf ihm einige Schläge. In Zen Geschichten enden solche Schläge nicht selten in Erleuchtung. In Rütte las man mit wohligem Entzücken solche Geschichten, und sie wurden von Dürckheim eifrig kolportiert.

Eine Zen-Geschichte ist eines und ungebetene Schläge ein anderes. Nun, was in den Geschichten eine Erleuchtung (wenn auch noch keinen Erleuchteten) bringt, war in Rütte ein Skandal. Han San verscherzte sich das morgendliche Zazen in der Gemeinschaft. Ich vermute, er hatte es darauf angelegt. In dieser Zeit fiel der Satz: Dürckheim spiku spiku nix gut. Ich gestehe, ich habe herzlich mitgelacht, ziemlich respektlos und herzlich. Han San wohnte über mir im 1. Stock unseres Hauses auf dem Prestenberg. Wir nannten es das weiße Haus, weil es sehr auffallend weiß gestrichen war. Es war ein großes zu mehreren Wohnungen umgebautes Bauernhaus. Ich fand, es sah aus wie ein schönes privates Irrenhaus. Ich weiß nicht, warum ich das fand, weil ich nie ein schönes noch privates Irrenhaus gesehen hatte, aber wenn es eins gäb, müßte es so aussehen, dachte ich.

Han San öffnete in der Morgenfrühe sperrangelweit seine Zimmertür zum Treppenhaus. Dann brachte er sich in Stimmung für sein Zazen. Er sang sein textloses Lied an die Schöpfung. Er holte tief Luft, so abrupt und kriegerisch, wie wenn er ein kleines Reptil auf einen Happ verschlingen müsse. Und dann quoll dieser Happen aus ihm heraus wie rollende Felsen, Springfluten, Sturmböen, mächtig und eindrucksvoll und nicht bar vieler melodiöser Zwischentöne wie Geblöke von Kängurus oder Fiepen von Baumhörnchen. Ich konnte mir keine schönere Musik zum Wachwerden vorstellen. Es war der Weckruf an alle Geschöpfe der Welt. Die Insassen des Weißen Hauses flohen nach unten ins Tal, ins Zendo.

Ich für mein Teil gesellte mich, wenn Han San seine Sutren beendet hatte, zu ihm. Er war im Tal persona non grata. Es hieß, er würde während der Meditation rülpsen und es ging sogar das Gerücht, er hätte eines Tages im Beisein Dürckheims einen Furz gelassen.

Dürckheim, anfangs froh, daß ich mich seines Gastes annahm, wurde schließlich, als er merkte, wie ich die Meditation mit Han San genoß,, ja wahrscheinlich derjenigen im Zendo vorzog, immer gereizter mir gegenüber. Er war sichtlich eifersüchtig. Damals hielt er große Stücke auf mich. Es war ihm unerträglich, uns beide so einträglich beisammen zu sehn. Wahrscheinlich jammerten ihm einige die Ohren voll, welch ungehobelter Kerl Han San sei.

Dürckheim bestellte mich zu sich und erklärte mir, ich müsse ihn für die nächsten Wochen im Zendo vertreten (er mußte nach Paris, wo er jedes Jahr 2 Monate verbrachte). Der wahre Grund war, mich von Han San wegzulocken. Dazu wars zu spät. Inzwischen hatte ich mich in Han San verliebt und war sein gelehriger Schüler, in fast allem. Wir legten einen gemeinsamen Garten an, mit tonnenschweren Felsbrocken. Er unterrichtete mich in japanischer Kalligraphie und im Tuschpinselzeichnen. Anfangs hatte er ein Dutzend Schüler, die er in Sumije unterrichtete. Nach und nach blieben sie alle weg. Sein Unterricht erschöpfte sich in grunzenden Tönen, Glucksen, Lachen und Herumwerfen von Blättern mit Zeichnungen drauf, von ihm selbst oder den Schülern. Die aber mochten das nicht, wenn er stoßweise die Bögen durchs Zimmer warf. Ich ahmte ihn nach und warf bald meine Blätter wie er unbesorgt in eine der Ecken des Zimmers oder einfach hinter mich.

Han San saß am Boden, zeichnete, warf sein Blatt durchs Zimmer, zeichnete, warf sein Blatt durchs Zimmer und überließ es seinen Schülern, sein Zeichnen nachzuahmen, wie immer sie´s wollten. Wenn sie ihm ein Blatt hinhielten, um seine Meinung zu erfahren, nahm er´s achtlos zurhand und warf´s im großen Bogen weg. Ganz selten hielt er eine vor seine wachen Äuglein und grunzte etwas Zustimmendes. Die ganze asiatische Belehrung liegt in der Aufforderung nachzuahmen. Für die meisten war es peinigend, wenn sie zum wiederholten mal den Affen, der nach dem Spiegelbild des Monds im Teich greift, auf ihr Blatt zeichneten, das vom Meister unbeachtet in eine Ecke des Zimmers flog.

In einer, der entlegensten Ecken des Zimmers, wuchs einer dieser Papierberge bedrohlich an. Und diese Laxheit, auf Abfall und Unrat übertragen, war´s die uns aneinandergeraten ließ. Han San begann sich anzugewöhnen, Unliebsames, Papier, Teereste, abgenutzte Rohrfedern, Essensreste zum Fenster hinauszuwerfen. Allmählich sammelte sich ein Haufen Unrat an. Als mir der Kragen platzte, stellte ich mich neben den Haufen, klatschte in die Hände und schrie seinen Namen zum Fenster hoch. Wenn ich in Wut gerate, bin ich imstande, Türen einzutreten. Das Fenster über mir öffnete sich, Han San beugte seinen Kopf vor, und ich führte ihm ein Tänzchen auf, herumspringend, Flüche brüllend. Er kam dahergehopst und wir verständigten uns auf eine neue Abfallordnung.

Ich war nie in Japan. So weiß ich nur von Hörensagen, wie zwiespältig die Japaner mit den Dingen des Alltags umgehn. Ali Mitgutsch, der das Land gründlich bereiste, erzählte mir, es sei gar nicht ungewöhnlich, am gleichen Haus vorne mit unendlich großer Hingabe erstellte schöne meisterliche Gartenkunst vorzufinden, hinter dem Haus jedoch einen Haufen von Weggeworfenem, Suppenbüchsen, Colaflaschen usw., jeglicher Ästhetik spottend.

Han San, der erst in seinen späten Jahren in ein Zen Kloster trat, nach Beruf und Ehe, vereinigte in sich diesen Zwiespalt.

Zu mir sagte er: Ro Lu Fu, da er Rolf nicht aussprechen konnte, deutete auf die leergeräumte Stelle an unserem Garteneck, und wir waren uns wieder einig,

Klaus Knaup, der Besitzer eines Hauses im rüttener Tal, das, worin sich das Zendo befand, bereiste als Fotograf mehrfach Japan. Er besuchte und fotografierte Zen Gärten und Klöster, auch das, worin Han San lebte. So brachte er mir nach Jahren einen Gruß von Han San mit, eine Bambusflöte.

Kleiner Nachtrag:

Han San machte sich übrigens nichts aus meiner künstlerischen Arbeit. Ich glaube, er begriff nicht einmal, daß ich malte und radierte. Nie hat er sich die Radierpresse angeschaut, geschweige, erklären lassen. Anfangs störte es mich, immerhin waren wir so etwas wie Kollegen.

Später machte es mir nichts mehr aus, und ich fand´s in Ordnung.

Er hat mir am Morgen nach meinem 40. Geburtstag, den er mitfeierte auf seine Art, ein Schriftbild geschenkt. Er stand vor meiner Tür, ich war noch ziemlich mitgenommen von der nächtlichen Feierei. In einer Hand schwenkte er eine Papierfahne mit Text. Später hab ich mir übersetzen lassen, was draufstand. Es hatte Bezug zu mir und von einigem im Text konnte ich mich geschmeichelt fühlen. Ich hab ihn wieder vergessen, das ist gut. So birgt er sein Geheimnis.

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Die Muse sei eine Magd


Zeichnung: Rolf Hannes

Einer der Großen, den niemand kennt, der das Gleichgewicht zu halten sucht auf der Grenzlinie, die er zieht zwischen dem Mitteilbaren und dem Sagbaren, wie er kurz vom Schreibtisch aufblickt, wo er mit dem Bleistift enggetippte Zeilen auslichtet, und einem Jemand mit der Vorstellung, die Muse sei eine Magd, erklärt, daß er an einem Schmerz arbeite, der noch aushärten müsse, Arbeitstitel: ohne Arbeitstitel, einen Endlosbrief nur schreibe er an seine große Liebe, die ihn verlassen habe, noch bevor sie ihm begegnet sei, Sätze nur kritzle auf ein Feigenblatt, die er sich vielleicht nicht einmal selber zeigen werde.

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Die drei heißen Gesellen

Es war einmal eine kinderlose Frau in den besten Jahren, die lebte allein in ihrem kleinen eignen Haus, und wenngleich sie recht gesellig sein konnte und ein fröhlicher, mitteilsamer Mensch war, so schätzte sie es, in ihrem Häuschen für sich allein zu bleiben. In ihrer Nachbarschaft lebte das genaue Gegenteil von Frau. Sie war nicht allein, oh nein, sie hatte wie sichs gehört einen Mann und viele Kinder, ich glaube vier oder fünf, Buben und Mädchen, hübsch verteilt.

Die beiden Frauen wohnten auf Rufweite voneinander, aber wenn sie an der jeweiligen Grenze des Grundstücks aufeinander zugegangen wären, hätten sie sich mit der Nasenspitze berühren können. Das geschah natürlich nie. Denn wenn die eine Frau, die mit Mann und Kindern, ihre Nasenspitze schon ein bißchen über den Zaun gereckt hatte, so war die andre, falls sie sich ebenfalls auf ihrem Grundstück zu schaffen machte, gerade in der entgegengesetzten Ecke. So war es jedenfalls meistens, wenn es sich einrichten ließ. Die Frau mit Familie war schon etwas ältlich, sie war nicht gerade häßlich, nur, wenn sie ihren Mund, der von Natur keine Schönheit war, zu einem Scbiefmaul verzog, so hatte sie etwas Gemeines, sogar Bösartiges im Gesicht. Das war das Gesicht, wenn ihr etwas nicht paßte. Das kam öfters vor und nicht selten im Zusammenhang mit ihrer jüngeren Nachbarin, die, sonst wäre das Schiefmaul weniger schief ausgefallen, hübsch und fröhlich war und zu manchem Scherz bereit. Und wenn es nun unvermeidlicherweise zu einer Begegnung kam, sagte die Junge zu der Alten herzlich guten Tag und hatte nichts weniger vor, als arglos weiterzugehn. Die Alte hielt sie jedoch fest, indem sie sagte, sie habe neulich dies und gestern das. Sie habe spät abends Licht aus ihrer Kellerluke fallen sehn. Sie habe sich gedacht, es ist vergessen worden. Kurz darauf sei es verlöscht. Nun ja, sagte sie, derweil sie ihren Mund immer schiefer zog, sie werden wohl die Kartoffeln für den nächsten Tag geholt haben. Nein, erwiderte die junge Frau, ich hole nie die Kartoffeln für den nächsten Tag aus dem Keller, es wird wohl eine Flasche guten Weins gewesen sein. So, sagte die Alte, und ihre Gedanken waren nicht weniger häßlich als ihr Gesicht, da werden sie nicht allein gewesen sein.

Ich bin nie allein, wenn ich einen besonderen Wein aufmache. Damit verabschiedete sie sich und ließ die Alte stehn. Sie ärgerte sich, warum sie nicht einfach gelogen und es bei Kartoffeln belassen hatte.

So oder ähnlich verliefen die Gespräche zwischen diesen beiden unähnlichen Frauen. Es ist der jüngeren nicht zu verdenken, wenn sie möglichst der alten aus dem Weg ging.

Eines Abends, es war ein finsterer, bitterkalter Winterabend, näherte sich die Alte dem Häuschen der Jungen unter dem Vorwand, sie könne ihr, wenn sie wolle, versteht sich, dies oder das aus der Stadt mitbringen. Zu dieser Jahreszeit, wo die Wege so beschwerlich sind und derlei. Das war der Vorwand, in Wahrheit wollte sie die Junge nur ausspionieren. Sah sie nicht verräterische Schatten über die Vorhänge gleiten? Am Ende gibt sie ein Fest. Unter dem Fenster hielt sie inne. Da hörte sie die im Hause sagen, sie hörte es sie aufgeheitert rufen: Kommt her, meine drei heißen Gesellen, wir wollen uns eine schöne Nacht machen.

Eine heiße Nacht und gleich drei. Das Schiefmaul lief nachhause. Entsetzlich, unaussprechbar, was da in ihrer Nachbarschaft geschah. Am andern Morgen, als es dämmerte, war sie auf den Beinen, es war ein Sonntag. Ihr Mann sagte: Frau, heute können wir ausschlafen. Ich seh dich im Mantel. Was hast du vor? Draußen ist es sehr kalt.

Ja, ja, sagte die Frau, es ist so kalt, daß es einigen nicht heiß genug zugehn kann. Der Mann hatte sich in sein Kissen gedreht und versuchte, weiterzuschlafen.

Die Alte zog es zum Haus der Nachbarin. Das war die Stunde, wo sich, bevor es hell wird, gut davonschleichen läßt, ohne gesehen zu werden. Sie stand im Schutz eines Hollerbuschs an dem Fenster, von dem sie wußte, daß das Schlafzimmer dahinterlag. Da hörte sie die Nachbarin sagen: Nun, meine Bettgenossen, ihr taugt nichts mehr. Weg mit euch, ich muß euch loswerden. Dann sah und hörte sie, wie die junge Frau offenbar etwas wegschleppte nach nebenan.

Die Alte stolperte ungesehn in ihr Haus zurück, angefüllt mit Entsetzen und der Gewißheit, nicht nur der Verworfenheit, sondern auch einem Verbrechen auf der Spur zu sein.

Tagelang hing der Mund der Frau schrecklich schief. Der Mann und die Kinder mochten es gar nicht mehr mitansehn. Der Mann drängte sie, zu sagen, was ihr so querliege, aber sie konnte nicht heraus damit, weil sie die letzten Beweise noch sammeln wollte.

Da geschah es, in einem Dorf, einige Stunden weiter weg, wurden drei junge Männer vermißt. Es waren drei Tunichtgute, Raufbolde und Müßiggänger. Man vermißte sie hin und wieder, vielmehr, niemand vermißte sie eigentlich, weil niemand sie besonders mochte. Es hieß, sie sind weg, hol sie der Teufel, bei krummen Geschäften oder bei einer ausgedehnten Sauferei.

Aber unserem Schiefmaul kamen sie gerade recht. Sie meinte, es schicke sich nicht, so über Gottes Geschöpfe zu reden, und es wäre übertrieben, zu behaupten, sie brächten nur das Geld andrer Leute durch. Am Ende sei ihnen etwas zugestoßen, etwas Gräßliches, etwas Ungeheuerliches. Sie jedenfalls wisse mehr, sagte sie beim Krämer. Alle Frauen um sie herum spitzten die Ohren.

Dann mußte es so kommen. Ein Polizist kam zu der Schiefmäuligen ins Haus. Ihm sei gemeldet worden, sie wisse etwas über den Verbleib der drei jungen Vermißten. Die Kinder waren aufgeregt, ein Polizist bei ihrer Mutter. Sie hatten mitbekommen, etwas war im Busch. Die Mutter schickte sie in eine andere Kammer. Ihr Mann war bei der Arbeit, das vereinfachte die Angelegenheit. Er hatte nämlich die Angewohnheit, alles herunterzuspielen und hätte ihr womöglich bedeutet, nicht solch dumme Gedanken zu äußern. Also hatte sie freie Bahn für ihren Trumpf. Sie gab zu Protokoll: Ja, sie habe es gehört und gesehn. Drei Männer seien bei ihr gewesen, bei ihrer Nachbarin, sie hätte ja häufig Männerbesuche, wie man weiß. In dieser Nacht seien es drei gewesen.

Kommt her meine drei Gesellen, wir machen uns eine heiße Nacht, das habe ich mit diesen Ohren gehört. Müsse sie noch deutlicher werden? Am andern Morgen, ganz in der Frühe, als sie den Weg von Eis und Schnee befreite, sei sie Zeuge geworden, welch entsetzliches Ende diese ausschweifende Nacht genommen hat. Sie habe die Nachbarin vor sich hinsprechen hören: Jetzt seid ihr kalt und ich muß euch fortschaffen. Verstehen Sie, Herr Kommissar, sie hat sie kaltgemacht, wie man so sagt.

Der Polizist war fassungslos. Umgebracht? Alle drei? Er sah einen großen Fall auf sich zukommen. Und ER würde ihn lösen.

Keine Stunde verging, da wurden der jungen hübschen Frau in ihrem Häuschen Handschellen angelegt. Als die Alte sie so sah, geleitet von 2 Polizisten, richtete sich ihr Mund wieder auf.

Die junge Frau beteuerte vor dem Richter, sie hätte mit dem Verschwinden der 3 Männer nichts zu tun, sie kenne sie nicht einmal. Schlimm zu ertragen waren für sie die Fragen, ob sie denn Alkohol trinke? Wein? Schnaps? Und wie sie denn ihre Freizeit verbringe? Als sie so verhört wurde, durchsuchte ein Trupp Uniformierter ihr Haus. Sie fanden nichts. Waren sie im Keller?

Verscharrt? Vielleicht hat sie sie hinter den Weinregalen versteckt. Es gab keine Weinregale, fünf Flaschen Wein standen brav neben den Einmachgläsern. Nun solle sie, die Zeugin, einmal demonstrieren, was genau sie gesehen und gehört habe.

Es kam nicht mehr dazu, im Garten erschien ein Beamter. Die Untersuchung sofort einstellen, sagte er, alles wird zurückgepfiffen. Die verehrte Zeugin möge sich zum Untersuchungsrichter bequemen. Nun war sie es, die Alte, die abgeführt wurde, ohne Handschellen, denn sie hatte niemanden umgebracht.

Es hatte sich herumgesprochen, alle wußten es bereits. Die drei Verschwundenen waren wieder daheim. Wo sie gesteckt hatten alle Tage, wollten sie nicht sagen, warum auch? Jedermann kann sich aufhalten, wo er will, so steht´s im Gesetz. Wir sind nicht ermordet worden, wie ihr seht, im Gegenteil, wir leben noch ein bißchen mehr. Alle konnten sich überzeugen, wie ausgezeichnet es ihnen ging. Alle waren es zufrieden, bis auf eine ältliche Frau mit schiefgezogenem Mund und einem Polizisten, der seine großartige Beförderung entschwinden sah.

Der Richter atmete auf. Diese schöne junge Frau, warum sollte sie ein solches Verbrechen begehen? Eines müssen sie mir verraten, bat er die Frau zum Abschied, was hat es mit den drei heißen Gesellen auf sich?

Meine drei heißen Gesellen, lachte die Frau, sind die drei Bettsteine aus Großmutters Zeiten. Der Richter lachte mit. Die Zeugin, die ihm dieses Verhör eingebrockt hatte, verpflichtete er zu einer öffentlichen Entschuldigung. Als sie in der Zeitung erschien, hatten alle ihren Spaß, bis auf zwei, wie sich denken läßt.

Die drei losen Vögel stellten sich bei ihrer vermeintlichen Mörderin mit einigen Flaschen echten Champagner ein. Darauf wollten sie anstoßen, sie seien auch heiße Gesellen, sagten sie und ähnliche Scherze, auch wollten sie die Nachbarin an ihrem Besuch teilhaben lassen. Sie könne ruhig zusehn, wie sie ermordet würden, meinten sie. Die Alte floh in den hintersten Winkel ihres Hauses und schloß sich ein. Schade, sagten die drei losen Gesellen und ließen ihre Mörderin hochleben.

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Herbst


Zeichnung: Rolf Hannes

Jetzt, da sie fallen
zuhauf und zu Haufen
gekehrt in Gossen und
Nicht-Mehr-Grünanlagen
modern jetzt, wo
das Laub der geselligen Linde
sich bettet mit dem
der knurrigen Eiche
und dem der eitlen Buche
zeigt sich
die Einsamkeit des schwarzen Geästs
eingehimmelt in Novembergrau

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Eine Eisenbahngeschichte

Erik K., ein Ateliernachbar, erzählte mir vor Jahren eine Geschichte, die mich sehr gerührt hat. Es ging um den Tod seiner Mutter, 1954. K. war damals Kunsterzieher im Birklehof, einem bekannten Internat im Schwarzwald. Die Schule hatte ihre Chorwoche, Schüler und Lehrer waren für diese Zeit in einem Landschulheim in der Nähe Freiburgs untergebracht. Dort erreichte K. das Telegramm vom Tod seiner Mutter. Sie war Putzmacherin gewesen und hatte ihrem Mann, einem Schneider, zeitlebens bei seiner Arbeit geholfen: zuschneiden, nähen, bügeln. Nebenbei, bis spät in die Nächte hinein, saß sie an ihren Hüten. Sie starb an der Nähmaschine. Eine kleine Ader im Hirn war geplatzt, sie sank still in ihrem Stuhl zusammen. Wenige Stunden später war sie tot.

K. lieh sich bei Freunden in Freiburg einen Mantel (1954 war ein guter wärmender Mantel etwas Rares), es war ein kühler, regnerischer November.

Erik K. kommt nachmittags an der deutsch-deutschen Grenze an. Er will nach Tangermünde, das liegt in der DDR, Ostzone oder Sowjetzone war die damalige Bezeichnung derer, die in der westlichen Hälfte Deutschlands lebten. Ein Grenzbeamter fordert ihn auf, den Zug zu verlassen. Ziemlich verdattert sagt K.: Meine Mutter ist gestorben. Morgen wird sie in Tangermünde beerdigt. Und zum Beweis hält er dem Grenzbeamten nochmals sein Telegramm hin. Das ist es ja, sagt der, dieses Telegramm kann ich nicht anerkennen. Offensichtlich hatte der Schuldirektor in der Eile des Geschehens den im voraus telefonisch übermittelten Text des Telegramms, mit Schulstempel und seiner Unterschrift versehen, an seinen Lehrer E. K. weitergeleitet, nicht das amtliche Telegramm aus der DDR, das einige Zeit später eintraf, bestückt mit den behördlichen Stempeln. Es tue ihm leid, sagt der Beamte, er sei nicht befugt, ihn weiterreisen zu lassen. Die einzige Möglichkeit, die für ihn bestehe, sei, sich Rat und Hilfe bei der benachbarten Polizeidienststelle zu erbeten. Im übrigen, sagt er, wenn er schon telefonieren wolle nach Tangermünde oder nach dem benachbarten Stendal (um von dort die Zusicherung der Echtheit des Telegramms zu bekommen), so sei dort das einzige Telefon.

Dieses einzige für private Gespräche zugängliche Telefon steht in einem kleinen Holzschuppen, einige Schritte neben dem Bahnhof und wird von einer Polizistin bewacht. Sie bedauert, sie möchte helfen, so gut es geht, aber wie soll sie eine Behörde in Stendal oder Tangermünde anrufen, wenn sie die Nummern nicht kennt. Sie gesteht es rundheraus: sie hat ein Telefon, jedoch kein Telefonbuch. Sie wissen, sagt sie verlegen, ich hab´s schon paarmal beantragt, aber es gibt halt so wenige.

K. geht zum Bahnhof zurück und kann dort einen Schalterbeamten überzeugen, die Telefonnummer der Kreisbehörde in Stendal erfahren zu müssen. Er erfährt seine Nummer und hofft, es möge die richtige sein. Eine Stunde und länger sitzt er neben seiner Polizistin, die unablässig versucht, das Rathaus in Stendal zu erreichen. Plötzlich überfällt ihn der schlimme Verdacht, daß gar kein Zug mehr in Richtung Tangermüde fahren könnte. Aufgeregt läuft er, derweil seine Polizistin bemüht ist, eine Verbindung nach Stendal zu bekommen, wieder zum Schalter des Bahnhofs, dessen bewußt, sich so freizügig alleine gar nicht bewegen, also nur in Begleitung seine Erkundungen machen zu dürfen, denn in der Dunkelheit der Nacht (so geht ihm durch den Kopf) könnte er über die Gleise hüpfen und wäre in der DDR. Es fehlt nicht nur an Telefonbüchern, es fehlt auch an Begleitpersonal, und so unternimmt er seine Sprünge zwischen den beiden Deutschland auf eigene Faust und einigermaßen hilflos.

Richtig, sagt der Mann hinter dem Schalter, der nächste Zug geht erst morgen früh. Wie komm ich denn nach Tangermünde, meine Mutter wird dort vormittags beerdigt. Das sagt Erik K. mehr zu sich selbst, als zu dem Mann hinterm Schalter. Zurückgehend zu seinem Polizei-Häuschen, begegnet er einer rangierenden Lok. Er grüßt hoch zu dem Lokführer, der sich ein wenig aus der Lok herauslehnt. Ohne zu überlegen, wie wenn´s das Natürlichste von der Welt wär: Ich muß nach Tangermünde, oder sagen wir mal Stendal. Du fährst nicht zufällig die Richtung?. Doch erwidert der Mann aus dem Dunkel seiner Lok heraus, die er zum Stehen gebracht hat, Stendal, da komm ich durch. Nimmst mich mit? Ich muß meine Mutter beerdigen, sagt K. und er merkt, daß er den Mann duzt. Klar, sagt der, komm hoch. Und K. klettert ohne weiteres in die Lok.

Und neben diesem Lokführer, mitheizend, mithockend, mitdösend fährt er nach Stendal. Dort bekommt er einen Bus nach Tangermünde. Er läuft vergeblich kreuz und quer durch den Ort, um ein paar Blumen aufzutreiben. Er findet das Haus, worin ihn sein Vater erwartet.

Als er sich auf die Kante des Betts setzt, worin er vor 2 Tagen seine tote Frau aufbahrte, sagt er mit müder, tonloser Stimme zu seinem Sohn: Es ging viel zu schnell, viel zu schnell.

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Mana

Holzschnitt: Rolf Hannes

Bei einigen Ureinwohnern Polynesiens gab es folgende mythische Vorstellung: Alles sehen wird am Ende der Welt gesammelt. Sie stellten sich vor, in jeglichem Sehen wohne eine Kraft, die nicht verlorengeht. Nicht der kleinste Blick, wohin er auch gerichtet ist, geht verloren. Geister haben die Aufgabe, alle diese Sehstrahlen zu bündeln und nach ihrem Gutdünken zu den Menschen zurückzuschicken.

Ein Kind fragte eines Tags den Schamanen: Wie steht es mit den vergifteten Strahlen? Wenn jemand mit bösen Gedanken schaut, werden diese Strahlen genauso gesammelt wie die guten? Ja, sagte der Schamane. Wenn sie bei den Geistern ankommen, sind sie weder gut noch böse, sie sind bloßes Mana*.

Könnte es sein, sagte das Kind, die bösen Strahlen werden auf der langen Reise gereinigt? Ja, sagte der Schamane, sie werden gereinigt.

* Bei den Ozeaniern eine Tiere, Menschen und Gegenständen innewohnende übernatürliche Kraft.

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