Opferrituale

Vor einigen Jahren arbeitete ich an einer Folge von Blättern, die ich Latein-Amerika-Suite nennen könnte. Darin ein zentrales Thema: Das rituelle Töten von Tieren. Meine Beobachtung geht dahin: Mit Zunahme der Tieropfer (in alten Kulturen), enthält man sich der Menschenopfer mehr und mehr. Erst stand in der Nähe des Tötens (von einem Feind) auch sein verspeisen.

Man tränkt die Erde mit seinem Blut, einverleibt sich sein Potential (Stärke, Seele), indem man den Kopf, stellvertretend für den ganzen Körper mitnimmt und präpariert (Schrumpfköpfe, Skalps etc.) Dann wird Speise den Göttern dargebracht wie ein Tribut. Das größte Opfer ist das des Nächststehenden, es wiegt noch mehr als das Selbstopfer. Die eigne Tochter, tugendhaft, schön, jung, gesund, sie ist das ideale Opfer. Alles andre ist Ersatz und entfernt sich vom Ideal.

Das ist der Weg: Töchter und Söhne aus adeligen (hochstehenden) Familien
Menschen von benachbarten Stämmen,
Völker (Streitigkeiten, Raubüberfälle, Kriegszüge),
Tiere,
Früchte,
Gegenstände (Schwerter, Schmuck),
Gebete, Bußübungen.

Opferrituale

© Rolf Hannes

Auf diesem Weg wird das IDEAL verdünnt bis zur Auflösung. Begleitet wird der Prozeß vom Kunstgriff des TABU. In einer spanischen Stierkampf-Arena ereignet sich der Abglanz des IDEALS. Der Stier vereinigt in sich Schönheit, Kraft, Unschuld, Nähe, Fleisch (das von allen ohne Gewissensbisse gegessen werden darf). Nähe: Oft sind es auserwählte Tiere, die dem Stierkämpfer nahestehen wie geliebte Menschen. Imgrunde vollzieht sich in der ARENA das SchauSpiel des EROTISCHEN (Opfers). Die Götter sind versöhnt. Ein genialer Trick, den Göttern das zu opfern, was die Menschen selber verspeisen.

ERDE                       Arena
HANDLUNG          Kampf, SchauSPIEL
IDEAL                      Mord, (erotisches) OPFER

In dem Maße wie sich das TABU in die Handlung einschleicht, wird das IDEAL verdünnt.

Ein Stierkampf entzieht sich den Kriterien des Tierschutzes. Ich bin überzeugt, je leidenschaftlicher Menschen diese rituellen Tötungen begehn und miterleben, umso friedfertiger sind sie unter ihresgleichen. Das stimmt auch überein mit der Feststellung, daß Metzger und Jäger (die echten unter ihnen) liebenswürdige, friedliebende Menschen sind. Ihre Sühne ist getan, ihre Mordlust gestillt. Nicht so bei vielen, die sich über den Stierkampf erregen und den Tierschutz bemühen wollen. Oft sind sie fähig, ihren Nächsten umzubringen.

Die Nazis sind ein bestes Beispiel. Sie tätschelten sentimental ihre Schäferhunde, gleichzeitig mordeten sie bestialisch Millionen Kinder, Frauen, Männer. Die Geschichte wäre anders verlaufen, hätte es in Deutschland weniger Tier- und mehr Menschenschutz gegeben. Hitler, mit all seiner Mordlust, vollem Herzen dem Stierkampf zugetan, hätte sich von seiner Mordlust befreien können, er hätte sie veredeln können bis zum rituellen Opfer des Stiers. Aber er war ein gefestigter, tierliebender Mensch, ein Vegetarier und abhold jeglicher orgiastischer Neigung, kurzum, ein anständiger Mensch. Und manchmal werden aus anständigen Menschen Bestien. Auf perverse, ungöttliche Weise waren die Nazis wieder an das IDEAL gerückt, und wenn man so will, waren sie allesamt (pervertierte) Idealisten.

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