Nancy Faeser – die Ministerin, die auf das Parlament pfeift. Zustände wie in einem autokratischen Staat.
Vom Boris Reitschuster
Wenn man in den vergangenen Tagen die Fernseh-Nachrichten der großen öffentlich-rechtlichen Sender sah, wirkte ein 35 Jahre altes Flugblatt allgegenwärtig, das der Bruder des Bayerischen Wirtschaftsministers verfasst hat. Kaum etwas war dagegen zu sehen und zu hören von dem neuen Skandal, in dessen Mittelpunkt die Bundesinnenministerin und hessische SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser steht. Ihr wird vorgeworfen, sie habe Ende 2022 den Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, nach einer Schmutzkampagne von ZDF-Aktivist Jan Böhmermann unbegründet gefeuert. Und ihn dann auch noch illegal abhören lassen. Durch den Verfassungsschutz, also den Inlandsgeheimdienst. Sollten die Vorwürfe, die sie bestreitet, zutreffen, wäre das ein Skandal von ungeheurem Ausmaß – ganz im Gegensatz zur Causa Aiwanger.
Zu dem Aufreger gesellt sich gleich noch ein weiterer: Statt dem Innenausschuss des Bundestags Rede und Antwort zu stehen im Fall Schönbohm, ließ die Sozialdemokratin die Volksvertreter einfach sitzen. Formell aus durchaus ehrbaren Gründen – nämlich medizinischen. Einen Tag zuvor war sie zwar noch im Hessischen Wahlkampf aktiv. Und am Tag, an dem die Befragung angesetzt war, hatte sie noch die Muße und die Kraft, ein Aktionsprogramm anzukündigen. Und ein Interview zu geben – am Dienstagmorgen, in Darmstadt. Das beweist ein Foto, auf dem die Ministerin durchaus fit wirkt.
Hat Faeser gegenüber dem Parlament das getan, wofür sonst eher böse Schüler bekannt sind: mit einer falschen Krankmeldung geschwänzt? Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums wies diesen Verdacht zurück: „Bundesinnenministerin Faeser hatte heute früh einen wichtigen Arzttermin infolge ihrer überstandenen Corona-Infektion, der in ihrem Heimatort war. Daher war sie im Deutschen Bundestag entschuldigt.“
Für Normalsterbliche sind Arzttermine heute oft so schwer zu bekommen, man kann nachvollziehen, wenn sie eine Verschiebung um jeden Preis vermeiden wollen. Die Ministerin dagegen hat jede Möglichkeit, oder waren ihre Leiden so dringend und kein Aufschub erschien möglich? Das darf man durchaus bezweifeln.
Dem CDU-Politiker Jens Spahn war die Entschuldigung denn auch nicht gut genug. Er monierte im Gespräch mit der „Bild“, Faeser mache „lieber Wahlkampf “ als dem Parlament „zu einem Skandal im eigenen Ministerium Rede und Antwort zu stehen“. Der frühere Gesundheitsminister weiter: „Diese Ampel vergrößert so den Frust im Land jeden Tag ein Stückchen mehr.“
In die Klemme gebracht hat die Ministerin ein interner Vermerk aus ihrem Ministerium, der ein eindeutiges Indiz dafür ist, dass der Verfassungsschutz auf den Spitzenbeamten angesetzt war:
Auslöser der Affäre war Jan Böhmermanns, der Schönbohm eine Nähe zu Moskauer Geheimdiensten unterstellte. Diese Vorwürfe ließen sich bis heute nicht belegen. Offenbar deswegen hetzte Faeser dem Spitzenbeamten ihren Inlandsgeheimdienst auf den Hals: „um Belastungsmaterial gegen Schönbohm zu erschnüffeln“, wie laut „Bild“ ein Mitwisser gestand. Dieses Vorgehen ist laut Kritikern rechtswidrig. Genau deshalb, und um abzuklären, ob sie legal oder illegal handelte, hätte Faeser Rede und Antwort stehen sollen vor dem Innenausschuss. Den sie aber einfach sitzen ließ.
Und es geht sogar noch weiter: Eine zweite Sondersitzung des Ausschusses, wie sie die Union forderte, lehnte die Ampelkoalition zunächst ab. Die SPD-Fraktion erklärte: „Es sind seit gestern keine neuen Erkenntnisse ersichtlich, die eine erneute Befassung des Ausschusses rechtfertigen würden.“
Klar, wenn die Ministerin nicht kommt.
All das ist an Zynismis nur schwer zu überbieten.
Erst nach massivem Druck lenkte die „Ampel“ ein und stimmte einer weiteren Sitzung zu. Darüber, was weiter geschah, gehen die Medienberichte auseinander. Manchen Beiträgen zufolge fand eine entsprechende Sondersitzung dann am Dienstagnachmittag statt. Wieder ohne Faeser. Anderen Berichten zufolge soll die neue Sondersitzung erst noch stattfinden. Und zwar am Donnerstag, wie die „Welt“ unter Berufung auf nicht genannte Quellen berichtet. Aber: auch diesmal ohne Faeser. Wollen die Ministerin und die Ampel die unangenehme Sache bis nach der Hessen-Wahl am 8. Oktober verschleppen?
Die Ministerin zeigt mit ihrem Verhalten, sie pfeift– zugespitzt ausgedrückt – auf das Parlament. Also auf die Volksvertretung.
Offenbar ist all das für die Medien im „besten Deutschland aller Zeiten“ nur eine Lappalie im Vergleich zu dem 35 Jahre alten Flugblatt des Aiwanger-Bruders.