Närrisch

Komm, spiel mit! Spiel mit mir! 
Bettelnd sitzt er auf einem Ast des Baums. Ein Bein aufgestellt, das andere baumelnd in der Luft. Den Kopf gestützt auf einen Arm lümmelt er herum. Ein bunter Farbfleck inmitten des dunklen Blattgrüns einer Eiche, deren Früchte noch einige Wochen zur Reifung benötigen. So hat er nicht einmal Munition, die er auf ahnungslose Passanten werfen könnte.

Langweilig. Todlangweilig ist ihm an diesem Sonnentag. 
Ein Tag wie der Tag zuvor und der Tag davor und der Tag vor dem Tag davor.

Ach, es ist ein Drama! Ein Narr, der niemanden zum Narren halten kann. Arbeitslos. Sie hat ihn arbeitslos gemacht. Von einem Tag auf den andern hat sie ihn entlassen. Seitdem folgt er ihr auf Schritt und Tritt. Beobachtet sie von oben und aus allen Richtungen ohne sich vor ihr zu verbergen. Denkt sich allerhand Schabernack aus. Doch ohne Erfolg.

Sie sieht ihn nicht. Will ihn nicht sehen. Kann ihn nicht sehen. 
Ein Narr kommt allenfalls in Märchen, aber nicht in ihrem Leben vor.
 Das hatte sie beschlossen. Beschlossen, um sich ganz dem Ernst des Lebens zu widmen. Dem Ernst, der nun einmal Realität ist und keine Phantasie. 
Denn diesem Reich ist er entsprungen. Dem Reich der Phantasie. Und in dieses Reich hat sie ihn wieder verbannt. Schließlich muss Ordnung herrschen. Jeder hat an dem Platz zu sein, an den er gehört.

Bild: Rolf Hannes

Aber ein Narr wäre kein Narr, wenn er sich Vorschriften machen ließe. Seinem Wesen gemäß lässt er nicht nach, um auf sich aufmerksam zu machen. Kleidet sich in ein rot-grün-blau-gelb-kariertes Kostüm mit Fransen, geht in übergroßen Schuhen, deren Spitzen sich nach oben biegen, trägt eine Kappe, an deren Zipfeln kleine Glöckchen befestigt sind, die bei jeder Kopfbewegung schellen, und setzt eine kunterbunte Maske auf, die sein wahres Gesicht vollkommen verbirgt und lediglich die Augen hervorschauen lässt. Dunkle Augen sind es, die vor Geist, Intellekt und Scharfsinn sprühen. Augen, denen nichts entgeht. Denen sie nicht entgeht. Denn sie ist seine Herrin. Seine Königin. Niemand sonst. Sie kann ihn nicht einfach so entlassen.

Armer Narr. Sitzt auf deinem Baum und pfeifst gelangweilt dein Liedchen in einer Welt, die dich nicht hören und haben will.

Ich sehe dich. Sehe dich in deinem bunten Kostüm. Blicke in deine wachen Augen. Staune über deine Zaubertricks. Bewundere deine akrobatischen Fähigkeiten. Lache über deine Scherze. Ein Feuerwerk der Kreativität. Zuviel, um nur in einem Menschen wirksam zu werden.

Komm. Komm in meinen Dienst. Komm, spiel mit mir.
Erfülle mich mit deiner Phantasie.
Und du wirst mich führen. Du wirst mich zu ihr führen, um wieder in ihrem Dienst zu stehen. Erkennen werde ich mich durch dich. Den Ernst des Lebens Stück für Stück ersetzen durch Lachen und Liebe. 
Du wirst mich wieder lehren, dass das Leben ein Spiel ist. Ein Spiel. Ein großes Spiel.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert