Zeichnung: Rolf Hannes
Helmut M. hatte eine 95jährige Mutter, die viele Jahre in ihrem Haus im Bayrischen Wald nahe der tschechischen Grenze lebte, selbständig und allein. Irgendwann hat sie der 67jährige Sohn in ein Altersheim gebracht. Da war aber die Mutter sehr unzufrieden. Sie fand alle ihre Mitbewohner unzumutbar. Gaga zu sein, ist noch das entschuldbarste Verhalten bei ihnen, sagte sie. Alle Wochen, wenn sie einen besonderen Besuch empfing, geschah das in ihrem Haus, das in der Nähe des Altersheims lag. Sie ließ sich dann hinfahren. So kaonnte sie auch wieder an ihrem geliebten Klavier sitzen, im Altersheim hatte sie nur ein Keyboard, das sie nicht sonderlich schätzte. Die Heizung hielt das Häuschen stets wohltemperiert.
Für das Stimmen ihres Klaviers hatte sie in früheren Jahren einen blinden Mann aus Tschechien. Er brachte seine Tochter mit, die dolmetschte, denn er selbst sprach kein Wort Deutsch und Helmuts Mutter kein Tschechisch.
Welch wunderliche Geschichte: eine hochbetagte Deutsche läßt sich von einem blinden Tschechen das Klavier stimmen, dazwischen die Tochter des Blinden, die beide Sprachen spricht und das jeweils Gesagte übersetzt.
H. weilte zurzeit bei einem Kollegen in Burgund, auf einem Bauernhof, der es ermöglichte, seiner Profession auch an seinen wenigen Ferientagen nachzugehn, dem Zeichnen und Lithografieren. Am Telefon sagt er zu seiner Mutter, er sei für 14 Tage in Burgund. Dann hättest du auch zu mir kommen können, war die Antwort. Mütter sind etwas Großartiges, aber mit 95 sollten sie ihre Söhne ziehen lassen.
(Diesen Text fand ich in einem meiner Malerbücher. Hab ihn dort vor einigen Jahren zwischen meine Zeichnungen notiert..)