Morgenlandreise 75

Khajuraho

Khajuraho: ein großes Lied des Eros, ein Gesang auf die Schönheit der Liebe, die irdische wie die göttliche, imgrunde das Hohe Lied auf die göttliche Weisheit. Wie riesige Früchte wachsen die Tempel aus der Erde. In tausendfältiger Wiederholung wird die Anmut des weiblichen Körpers besungen. Die Anmut des männlichen Körpers nicht minder, in Stein. Aber dieser Stein ist nicht steinern, er ist musikalisch und singt das Lied aller Göttinnen und Götter auf weltliche und himmlische Weise. Göttlich die Pos der Frauen, Beine und Pos schmelzen ineinander, die Einheit eines Blütenstengels. Nie erschöpft sich die Wiederholung in Abklatsch, jede einzelne Skulptur des gleichen Themas, des gleichen Symbols, ist eine originäre Schöpfung. Die Kühnheit, die Freizügigkeit der Darstellung hält Schritt mit der künstlerischen Vollendung. Khajuraho ist ein Juwel erotischer Kunst. Das sehen zu dürfen, erfüllte sich mir ein großer Traum.

Hab inzwischen aus Bombay, wo im Tresor der Salvation Army meine Traveller-Schecks verwahrt werden, genügend Geld überwiesen bekommen für die Rückreise. Mein Gastgeber, bei dem ich nun schon den 5. Tag übernachte, und das in einem wirklichen Bett, hat mir wie selbstverständlich dabei geholfen. Was den Inder betrifft, der mich beklaut hat, so denk ich mir, für ihn war es ein willkommenes Geschenk Shivas.

An der Peripherie des Tempelareals gibt es ein Festival zu Ehren Shivas: in einem großen Zelt ein Reigen von Szenen aus Shivas Leben. Die Tanzeinlagen und Gesänge werden alle Minuten durch Reklame unterbrochen. Die Schauspieler und Tänzer verharren dann starr in ihren Posen. Über ihnen auf Transparenten erscheinen Schriftzeilen, etwa: PAN AM Airlines are the best oder Coke: the real thing. Damit es niemandem entgeht, gibt es parallel dazu die Lautsprecherdurchsage.

Tänzer und Schauspieler geben eine märchenhaft schöne Darbietung in ihren großartigen Kostümen, am Rand sitzende Musiker mit allen erdenklichen klassischen indischen Instrumenten begleiten das Spiel, einige Chorsänger/innen unterstützen die Gesänge, und dieses herrliche Schauspiel mündet alle Minuten abrupt in eine teuflisch schändliche Reklame, derweil die Akteure auf der Bühne in ihren eingefrorenen Gesten verharren und wie heilige Kühe in die Gegend schauen.

Was die Engländer nicht geschafft haben, die vollständige Unterwerfung dieses Subkontinents, das versuchen nun die Amis.

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