Morgenlandreise 74

Unterwegs nach Khajuraho

Habe vorgestern einen Bus bestiegen und lege auf halbem Weg nach Khajuraho eine Rast ein. Lange Stunden fuhr der Bus über schotterige Wege durch Palmenwälder und Bambushaine. Bei der Ankunft hatte ich schon Bescheid von einer kleinen Herberge, wo ich gut und billig unterkommen könne. Einer meiner Nachbarn im Bus gab mir den Tip. Zwischen seinen Füßen hatte er zwei Hühner liegen, still und ergeben, ihre Beine waren aneinander gefesselt. Als er ausstieg, steckte er drei Finger durch die Schlinge, und die (lebenden!) Hühner baumelten noch stiller und ergebener kopfheister an seiner Hand.

In einem geschützten Winkel des Innenhofs der Herberge sitzend beobachte ich einige Affen wie sie sich öfters am Rand des Dachs niederlassen. Manche schlenkern mit den Armen, als wollten sie mir zuwinken. Ich winke nie zurück, gebe mir, sobald Affen auftauchen, den Anschein, sie gar nicht zu beachten. Das ärgerte sie, sie schubsten sich in die Seiten und berieten miteinander, wer da Neues im Hof der Sri Venkatesvar Lodge sitzt, so hingefläzt und unbekümmert einer Ansprache. Ein Bild: die blasse Mondsichel am hellichten Himmel, darunter eine über das Dach hüpfende, sich balgende und palavernde Affenfamilie, darunter ich, der ich versuche, vor mich hinzuschauen, um die Eindrücke der letzten Tage einzuordnen. Der Chef des Hauses versichert mir, die Affen wagten sich nur selten herunter in den Hof. Weiß nun: die Fenster in den Zügen, Bussen, Häusern sind mit Stangen bewehrt, damit die Plagegeister nicht eindringen können.


Die Affen Indiens sind fast so unantastbar wie die Kühe

Heute früh geschah das Undenkbare. Ich beuge mich in einen Schacht hinein, einen halben Meter lang etwa, etwa 40 mal 40 Zentimeter im Geviert. Er erlaubt dir, deinen Arm auszustrecken, damit du einer Hand, von der anderen Seite dir entgegengestreckt, Geld gibst für eine Fahrkarte nach Khajuraho. Erst fragst du, dann bekommst du eine nicht auf Anhieb verständliche Antwort. Ein Teil der Worte gehen in dem Schacht verloren oder werden unverständlich. Dann nestelst du deinen Brustbeutel hervor, knöpfst sogar dein Hemd umständlich auf. Beugst dich wieder vor, ob du das Gesicht deines Gegenüber halbwegs zu fassen kriegst. Hinter mir warten einige geduldige Inder, die sich gleichfalls eine Karte kaufen wollen. Du sagst nochmals etwas, das für dein Gegenüber kaum verständlich ist. Irgendwann kommt der Tausch Fahrkarte gegen Geld zustande. Aber noch wartest du auf das Rückgeld. Und als du‘s hast, trittst du vom Kassenhäuschen weg und schaust in deinen Brustbeutel. Der ist leer. Nicht ein Scheinchen ist mehr drin.

Du begreifst es erst gar nicht. Du stehst da, in der einen Hand das Rückgeld, in der andern den leeren Brustbeutel und eine Fahrkarte nach Khajuraho. Und dann schnappe ich mir, ohne Überlegung und Verstand, den Inder, der hinter mir wartete und nun vorm Kartenschacht steht, reiße ihn voller Wut mit mir ums Eck des Häuschens, drücke ihn an die Wand und schreie: You thief. You have stolen my money. Der Inder, kalkweiß im Gesicht, so weiß wie die Wand hinter ihm, wehrt sich nicht, bleibt ganz stumm. Er versteht mich nicht, er weiß nicht, worum es geht, er schaut mich nur voller Angst und Unverständnis an. Er ist es nicht, er war es nicht, der mich beklaut hat. Der mich beklaut hat, war wahrscheinlich kurz neben mir und hat sich schleunigst davongemacht.

Als es klar wird, daß ich den Falschen beschuldigt habe, entschuldige ich mich. Es ist mir sehr arg, fast hätte ich den Mann in die Rippen geboxt. Alle auf den Bus Wartenden haben das Stück mitgekriegt, die meisten umringen uns. Und einige von ihnen haben begriffen, was vorgefallen ist, sie verstehen meine Bestürzung. Würde das wenige Geld, das ich in meiner Hand halte, reichen für irgendetwas?

Noch im Bus bin ich der Mittelpunkt einer allgemeinen Erregung. Einige der Mitreisenden schauen betroffen vor sich hin. Da legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ein Inder in einem westlichen Anzug steht neben mir im Gang. Als ich meinen rasenden Auftritt hatte, hielt er sich abseits. Nun schaut er mich an und sagt in verständlichem Englisch: Mir ist das peinlich, mir ist das peinlich für mein Land. So was sollte man einem Fremden, der unser Land besucht, nicht antun. Wissen Sie was? Ich wohne in Khajuraho, ganz in der Nähe der Tempelanlage. Bitte, seien Sie mein Gast, solange Sie wollen. Ich bin ganz verdattert und gleichzeitig fühle ich mich gerettet. Für höchstens drei Tage, erwidere ich.

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert