Morgenlandreise 70

Im Zug nach Benares

Manchmal sehe ich unterwegs vorbeifahrende Züge, sie sind so überfüllt, viele der Mitfahrenden stehen außen auf den Trittbrettern, hocken auf den Dächern, halten sich an irgendwelchen Stangen oder Ausbuchtungen fest. Wenn man als Europäer mit verwundertem Blick hinstarrt, winken einem einige dieser Fahrkünstler fröhlichen Gemüts zu. Ich nehme an, diese Züge, die nicht allzu schnell fahren, sind Vorortzüge, die ihre Aufgabe darin sehn, arme Leute aus Vororten in die Stadt zu bringen und wieder hinaus.


Viktoria Station

Indische Zugfahrten sind ein ganz besonderes Abenteuer, gerade die auf längeren Strecken, wird mir versichert. Mein Abenteuer beginnt in Bombay: Victoria Station. Ein riesiger viktorianischer Bau, noch Ende des 19. Jahrhunderts von einem Engländer zu Ehren seiner Königin erbaut. Die inneren Fluchten sind so mit Menschen und Gepäckstücken angefüllt, vollgestopft, es braucht Standfestigkeit, sich durch dieses Geknäuele zu winden. Es heißt, es gäb mehre Tausend Gepäckträger für Millionen von Reisenden. Nicht alle sehen wie Reisende aus. Ganze Familien hocken, liegen zwischen ihrem Gepäck, wie wenn sie sich hier für länger niederlassen wollten. Einige mampfen irgendwas von Papptellern, einige spielen Brettspiele, einige dösen wohlig in den Tag hinein. Das meiste Gepäck besteht aus Stoffballen, zusammengenestelt und verschnürt.

Ich möchte nach Benares und in Zügen fahren, womit das Volk größere Strecken zurücklegt. Für weite Strecken nehmen Westler das Flugzeug, für kürzere Taxis, oder sie fahren in eignen Autos. Ich möchte Land und Leute erfahren (mit wenig Geld), dazu passen landesübliche Busse und die Eisenbahn bestens. Am Schalter zieht der Beamte die Brauen hoch, als ich mein Ziel sage. Er mustert mich und ich weiß, was er denkt. Er rechnet und rechnet und bekritzelt einen Zettel. Two days and nights, sagt er und schaut mich an, ob ich’s mir nicht doch anders überlegen will. Einfache Klasse? Ja, die einfachste Klasse, ich bin ganz indische Gelassenheit. Kein Gepäck? Kein Gepäck, nur diese kleine Umhängetasche. (Mein Gepäck liegt wohlverwahrt im Safe der Heilsarmee unter Aufsicht von Mrs.Trincle. Auch meine Reiseschecks hab ich ihr anvertraut.) Er hat den Betrag errechnet. Artig bedanke ich mich, als ich den Fahrschein in der Hand halte, für einen Preis, der in Deutschland kaum für 100 km reichte.

Die Wagen haben abgetrennte, zum Gang hin offene Abteile mit je zwei sich gegenüber befindlichen, durchgehenden Holzbänken, auf denen die Reisenden mit ungezwungner Tuchfühlung zu ihren Nachbarn sitzen. In die Gänge und freien Ecken hocken sich einige Kinder und junge Frauen. Wenn sie sich an eins auf dem Boden liegenden Reisebündel lehnen oder sich in es hineinhocken, mögen sie bequemer sitzen als unsereins. Wir sind schon einige Stunden unterwegs, da klettert ein Mann vor mir hinauf in die Gepäckablage, auch sie hölzern und stabil. Interessiert schaue ich zu, wie er sich dort oben häuslich einrichtet. Solange er damit beschäftigt ist, sitzt er mit herunterbaumelnden Beinen, was niemanden zu stören scheint. Die unter ihm Sitzenden nehmen bereitwillig ihre Köpfe beiseit, damit seine Füße ungestört bleiben. Er ist barfüßig wie fast alle Reisenden um mich herum, auch ich habe meine Schlappen abgestreift. Sind das seine eignen Gepäckbündel und Kofferschachteln, die er dort zurechtschubst? Meine Kleidung ist indisch, weiße Leinenfetzchen, aber mein Gesicht und Getue verraten mich gleich als Ausländer. Über mir ist so viel Gepäck verstaut, nie und nimmer könnte sich dort noch jemand dazwischenlagern.

Ich habe einen Fensterplatz erwischt, nicht aus eignem Vermögen. Die Einheimischen wußten sofort, was sie einem Fremden schuldig sind, der wissensdurstig hinausschauen möchte, sie überließen mir höflich einen Fensterplatz. Mein Nachbar knufft mich weniger als den auf seiner andern Seite.

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