Morgenlandreise 69

Westler, die in ihren feinen Anzügen, gestärkten Hemdkragen, beschlipst und in klimatisierten Autos durch Bombay fahren, in einem 5 oder 6 Sterne-Hotel wohnen, ausgestattet mit allem Komfort westlicher Hotels, wissen oft erschreckend wenig von Indien. Ich entsinne mich eines Kommentars, worin der Sprecher sagte: Die Inder nehmen nur die rechte Hand zum Essen, auch bei Früchten. Er sagte, und das sehr bedeutungsschwanger: Sie nehmen nur die rechte, weil die linke als unrein gilt. Es klang so, wie wenn die linke mythisch belastet sei. Und wahrscheinlich glaubte der Sprecher das, genau das.

Offensichtlich war er nie im alltäglichen Indien, nur in westlich aufgemotzten Hotels, in klimatisierten Konferenzräumen, in klimatisierten Büros und in klimatisierten westlich ausgestatteten Toiletten. Er war nie auf einem ortsüblichen Abort. Andernfalls wüßte er’s. Inder reinigen sich den blanken Hintern mit der blanken linken Hand. Aus einem Gefäß, meistens ist es eine olle Büchse, gießen sie mit der rechten Hand Wasser zum Geschehn. Ich hab mich mit Indern unterhalten über das Fehlen jeglichen Papiers auf indischen Klos. Sie schmunzelten und hatten keine stimmige Vorstellung, warum ich denn das Papier vermisse. Sie kannten die westliche, in ihren Augen umständliche und unhygienische Weise mit Papier umzugehn auf dem WC. Die Abflußrohre würden unnötig belastet, der Hintern durch die Wasserspülung viel sauberer und er bliebe rundum gesünder. Allerdings, das gaben sie zu, würden sie die linke Hand nicht immer ganz gründlicher Reinigung unterziehn, aber warum auch, zum Essen nehmen sie nur die rechte. Ich traf auf viele Inder, die beide Varianten beherrschen, die mit Papier und die mit handsamer Wasserspülung, aber die meisten bevorzugten die indische. Was mich angeht, so beherrsche ich sie nur stümperhaft. Ähnlichen Irrtümern sitzen die Westler auch auf, wenn es um Hinduismus oder Buddhismus* geht. Der Hinduismus schwelgt in solch überbordender Vielgötterei, daß von Gott keine Rede mehr sein kann. Die Vorstellung eines abstrakten Gottes, eines Schöpfers mit Alleinheitsanspruch ist den Indern fremd. Sie haben keinen GOTT, der den Menschen bedeutet, er dulde keinen neben sich. Dieser imperiale Hintergrund fehlt völlig. Und aus diesem Grund vielleicht hat dieses riesige Indien nie andere Kontinente überfallen. Und wollte nie andere zum Hinduismus bekehren. Es wäre so, wie wenn man die Menschen zu Blumen, zu Affen, zu Elefanten bekehren wollte. Also: der Hinduismus ist keine Religion, er ist einfach eine Haltung, die Welt anzuschaun und in ihr zu leben. Aber wie das so ist, versauen Politiker alles, auch den Hinduismus in Indien.


Samsara oder das Rad der Verwandlung

Dies zur Einführung dessen, was ich gestern erlebte. Am späten Nachmittag schlenderte ich durch ein mir bis dahin unbekanntes Viertel. Aus dem offenstehenden Portal eines Gebäudes erklang Musik und Gesang. Das ist eine der Situationen, die meine Schritte lenken ohne mein Zutun. Auf der obersten Stufe der Treppe zum Portal hin saß ein Mann, angelehnt an die Mauer, mit geschlossenen Augen summte er die Bögen der Musik mit. Diese indische alltägliche Musik ist wie glucksendes Wasser, sie springt und hüpft, schnarrt und plärrt und ist doch sanft und voller Schmelz. Die Musiker sitzen auf dem Boden, ihre Instrumente zwischen den Füßen: eine Handorgel, mit der rechten Hand gespielt, die linke bedient einen Blasebalg, ein Saiteninstrument (ähnlich der Tambura, es wird gezupft und gestrichen), ein Schlaginstrument (Tabla). Der Mann öffnete seine Augen, sah mich, lächelte und machte eine einladende Handbewegung. Und bald saß ich ihm gegenüber auf der andern Seite des Portals. Der Raum war gesteckt voller Menschen, alle in festlichem Weiß, alle auf dem Boden hockend, Männer, Frauen, Kinder, bunt durcheinander. Ich dachte, so hätte ich meine Gottesdienste erleben wollen als Kind, als Halbwüchsiger, sitzend oder auch liegend (warum nicht auch schlafend wie manche Kinder hier?) abwechselnd einem herzwärmenden Gesang, einem innigen Gebet hingegeben an einen Gott, der nicht bedrohlich ist, der nicht straft.


* Dem Buddhismus ergeht es ähnlich. Immer wieder hör ich hier im Westen die Leute sagen, der Buddhismus sei eine Religion. Es mag ja sein, daß er in einigen Ländern so auf den Hund gekommen ist. daß er einer Religion gleicht, aber mit Buddhas ursprünglicher Prägung hat das nichts zu tun.

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