Morgenlandreise 68

Saß gestern abend in der Bar des Taj Mahal bis 2 Uhr in der Nacht klönend beisammen mit Erica und Alexander. Erica ist aus Detroit, sie hat den Ehrgeiz, unabhängig und allein Indien zu bereisen, sie schreibt für den New Yorker und eine londoner Zeitung. Alexander ist Pelzhändler, aus Hamburg, der irgendwie irgendwann nach Kamtschatka will.


Taj Mahal

Das Taj Mahal, ein obszöner klotziger Prachtbau, beherbergt Geschäftsleute (meist Waffenhändler), Diplomaten, Mafiosi aus aller Welt. Keiner von uns ist hier abgestiegen, wir lassen uns nur hin und wieder in einer der Barecken nieder. Drei Minuten wachen Auges in der Lobby, dann weißt du bei einigem Takt und Instinkt, wem du aus dem Weg gehen mußt, und wer für einen sympathischen Schwatz infrage kommt. Nie und nimmer hätte ich diesen Prachtkasten betreten, hätte mich nicht ein Holländer, dem ich in der Muttonstraße begegnete, weil er wie ich auf der Fährte einiger erschwinglicher Kunstschätze war, eines Abends mit hingeschleppt. Jetzt macht es mir Spaß, mich in einige Sessel zu fläzen, wie wenn ich dazugehörte. Auch die große Welt, merke ich, wird von kleinem Format bevölkert. Und je kleiner das Format, je größer der Aufwand, bedeutend und groß zu erscheinen. Es gibt allerdings auch die unscheinbare Variante, die sehr harmlos und durchschnittlich erscheint und es faustdick hinter den Ohren hat. Es wird an mir sein, die Augen offenzuhalten, um mich einiger Irritationen zu erwehren. Frage mich, wie die Kellner und Hausdiener mit all diesen Leuten umgehn. Und welche Erfahrungen sie so machen. Mit Schwarzen, Hellhäutigen, Gelben, Schokoladigen. Mit verführerisch schön aussehenden Frauen, alten Schachteln, dickwanstigen häßlichen Männern. Sie nicht nur außen, vielmehr innen zu erkunden. Ein gutaussehender charmanter Mann kann ein ausgewachsener Fiesling sein, eine alte Vettel eine intelligente warmherzige Frau. Die Nahtstelle, wo sich Herrschende und Untergebene in einem Hotel treffen, ist der Ort des Geschäfts. Und Geschäft regelt alles, denke ich mir. Einer Hundertdollarnote sieht man nicht an, ob sie von einem korrupten Diplomaten oder einem integren Farmer kommt. Wer sich mit dieser Einsicht zufrieden gibt, muß noch kein Schuft sein, aber er wird mehr und mehr angekratzt, und ich hoffe für mich, kein Zyniker zu werden.

Alexander machte den Vorschlag, wir könnten uns anderntags treffen am Hafenkai, hier ganz in der Nähe vom Taj Mahal, wo es eine Frühstücksbude gibt. Am Kai fanden wir ein Ruderboot und bald einen Jungen, der es uns vermietete, und einen zweiten dazu. Sie wollten unbedingt mit. Wir pullten durch das Hafenbecken, hielten auf einen kleinen Leuchtturm zu. Er ragte wie ein dicker Pfahl aus dem Wasser, umspült von einer wilden Strömung. Eine Viertelstunde brauchte unser Manöver, ihn nahe zu umkreisen. Wir ruderten, ruderten, das Boot kam nicht vom Fleck, drehte sich im Kreis, wollte sich aber in keine Richtung vom Leuchtturm fortbewegen lassen. Wie ein Malstrom, dessen Zentrum der Leuchtturm war, hielt uns das Wasser gefangen und spielte mit uns. Die Jungen machten verschreckte Bewegungen und bange Gesichter. Wir alle bekamen es mit der Angst. Schließlich gelang es uns, um den Turm herumzukommen. Erica versuchte sich gegen ihn zu stemmen, strauchelte und fiel fast über Bord. So schwierig es war, die Strömung zu beherrschen, so schnell schossen wir endlich aus ihr heraus. Einige Minuten später holte uns ein Hafenwachboot ein. Wir kletterten hinüber, unser Kahn wurde ins Schlepp genommen. Die Matrosen waren es einigermaßen zufrieden, als sie uns heil an Bord hievten. Wir hockten uns schuldbewußt und stumm in eine Ecke, angefüllt mit Schrecken in allen Gliedern. Ich hatte weiche Knie und streckte alle Viere von mir. An der Hafenmauer wurden wir von einer aufgeregten Menschenmenge empfangen, darunter die besorgten Väter der Buben und der wütende Besitzer des Ruderboots. Erica war die Mutigste von uns, sie ging zum Besitzer des Boots, gab ihm ohne Umstände mehrere Dollarscheine und machte eine Geste zu den verängstigten Buben hin. Die sahen uns hilflos nach, als wir uns mit kleinlautem Winken davonmachten.

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