Die Pakistanis sagten dauernd: No problem. Bei allem und jedem, auch wenn es kaum ein Problem gibt, sagen sie: No problem. Die Inder sagen fortwährend: Don’t worry. Niemand sorgt sich, niemand regt sich auf, aber irgendein Inder sagt: Don’t worry. Bin heute ins Salvation Army umgezogen, also in eine von der Heilsarmee geleitete Absteige. American express, kleine Schieber, Herumtreiber wie ich, aus aller Herren Länder fröhliches Gelichter, auch einige Kokain-, Opium-Dealer. Das Essen ist im Preis inbegriffen. Die Suppe schmeckt so wie die ältere Dame im Büro aussieht. Das ganze Essen ist auf europäische Art getrimmt, es schmeckt wie durchgesiebt, nach Pampe, nach Nichts. Sollte ich einen joint rauchen, bevor ich etwas esse? Besser nicht, denn Haschisch verstärkt bei mir alles, zum Guten wie zum Schlechten. Besser ein bißchen Opium? Neulich, nach einem kleinen Krümel Opium, las ich einen Kanten Brot, halbwegs europäisch gebackenes dunkles Brot, in einer Ecke der Kantine auf, wahrscheinlich war es schon aussortiert worden, dieser Kanten Brot schmeckte mir wie himmlisches Manna. Mein Gaumen war riesengroß, ich mußte an die Motorhaube eines VWs denken. Millionen von Geschmackspartikel ließen sich kein bißchen himmlischen Wohlgeschmack entgehn.
In den Räumen ein gewisser Anflug von europäischer Sauberkeit. Auf den Tischen stehen Plastikblumen. Indien hat so wundervoll blühende Bäume und Sträucher. Manchmal, im Bus oder Zug, konnte ich einen säufzenden kleinen Schrei nicht unterdrücken, wenn ich solche Blütenwunder sah: Krapplackrote Kelche auf blattlosen Ästen. Im Gesträuch Indigo. Im Gebüsch Türkis. Und nie gehörte Vogellaute, die diese Farben dem alltäglichen Sehn entrücken und vor dem Urgrund deines inneren Sehns verbinden. Vogelstimmen, glasklar, in Musik gesetzte Natürlichkeit.
Fremder, geh mal in die Mutton-Street und Umgebung. Im Schlund der Hölle wachsen überirdische Früchte. Bin seit Tagen auf der Spur einiger tibetischer thankas. Das eigentliche Herzstück, das Bild, das mandala, auf Leinwand gemalt mit Tempera, ist meist abgelöst von der brokatenen Stoffbahn, auf der das mandala ursprünglich kunstvoll aufgenäht war. So, voneinander getrennt, geht viel der einheitlichen Schönheit verloren. Aber als großes Rollbild sind die heiligen Kunstwerke schlecht zu schmuggeln, erklärt mir der Händler. So erstehe ich fürs erste eine winzige ovale auf Elfenbein gemalte erotische Miniatur.
Miniatur aus der Mogulzeit
Orientalische Händler wollen umkreist werden. Die wirklich guten unter ihnen kreieren eine Choreographie zwischen sich und dem Käufer. Ganz gewiß, wenn er ein Fremder ist, der sich mit Verstand darauf einläßt. Dann kommt noch der Stolz des Händlers dazu, seine Heimat, den Orient zu vermitteln, seine Kunstsinnigkeit darzustellen. Er will für Minuten weniger Händler als Gastgeber sein. Es gehört auserlesener Tee dazu, viel Beieinandersitzen, auch lange Pausen des Schweigens. Allmählich entsteht ein Fluidum des Wohlgefühls zwischen Käufer und Verkäufer. Der Kauf wird unwichtiger, er tritt ein wenig zurück (aus den Augen wird er nie gelassen, oh nein, beide sind ja in ein Geschäft vernarrt), in den Vordergrund tritt die Begegnung. Und in der bereitet sich der Kauf vor, der gemäß einer wirklichen Choreographie über Tage gehen kann, mit wiederkehrenden Besuchen des Käufers. Trifft er dann seinen Händler beschäftigt an, mit wem oder was auch immer, darf er ihn nicht belästigen mit seiner Gegenwart. Der Fremdling, der Europäer, der Kunstverständige bringt Einsicht und Zeit mit.