Die Insel Elephanta
Den ersten Tag und die erste Nacht in Bombay hatte ich orientalisch in Victoria Station überstanden. Es fuhren nur Regional- und Vorortzüge. Vom Gepäck befreit, ich gab es in die Gepäckaufbewahrung des Bahnhofs, machte ich mich auf zu einer Erkundung der Stadt. Eine Fahrrad-Rikscha brachte mich zum Gateway of India. Das ist ein riesiges Monument, von den Engländern erbaut als Eingangstor zum indischen Kontinent, den sie sich nach und nach untertan machten. Die Inder aber lieben dieses imperialistische strahlende Symbol, sie sagen, es sei das schönste Bauwerk Bombays. Und jeder Rikscha-Fahrer bringt dich, der du als Besucher zum erstenmal in seine Stadt kommst, zu diesem Bauwerk. Es wurde auch für mich zum Tor nach Indien. Es steht am Seebecken, das im Osten, also landeinwärts die Stadt umschließt.
Mein Rikscha-Fahrer sagte: Ferry to Elephanta, und er deutete auf ein kleines Schiff, ein Personen-Fährschiff, das am Landungssteg lag. Elephanta? Keine Stunde Überfahrt dauerte es, da stieg ich an Land dieser kleinen aus einem riesigen Felsbuckel bestehenden Insel. Es gab kaum Vegetation, keine nennenswerten Bäume und Sträucher, nur Felsen, und schon gar keine Elefanten. (Später erfuhr ich: die Portugiesen bargen, als sie Mitte des 16. Jahrhunderts hier landeten, aus dem Wasser vor der Insel einen steinernen Elefanten.) Affen waren es, die sich über die ganze Insel tummelten. Es war das erste Affenvolk, das ich in Indien kennenlernte. Und als ungemein lästig empfand. Die Affen waren es gewohnt, von den vom Boot kommenden Passagieren Leckerbissen zu bekommen. Meine Gesten, sie wegzuscheuchen, fielen nicht zu ihrem Wohlgefallen aus, und sie zeigten es in abschätzigem Grinsen und Fletschen.
In den Fels gemeißelte Skulpur, von den Portugiesen zerstört
Was ist das Geheimnis dieser Insel? Haushohe in den Fels geschlagene Höhlen, an deren Wänden, wie aus dem Stein herausgewachsen, großartige Skulpturen gemeißelt sind. Die Geschichte der Kunst wird begleitet von der Geschichte des Vandalismus. Als die christlichen Portugiesen diese Bildwerke sahen, die vor 1000 Jahren ihres anmaßenden Besitzergreifens entstanden waren, muß wahre Raserei sie ergriffen haben. Wo immer sie auf die Schönheit der Götter Indiens trafen, überkam sie blinde Zerstörungswut. Sie waren es ihrem Gekreuzigten schuldig, glaubten sie, die Erhabenheit dieser fremden Götterwelt zu hassen und zu schänden. Sie richteten sogar Kanonen auf die herrlichen Bauwerke. Es mag sich unter den portugiesischen Soldaten und Eroberern manch Einsichtiger befunden haben, der dem Wahnsinn der Zerstörung manchmal Einhalt gebot. Meine Vermutung ist, je weniger die christliche Meute auf Widerstand der einheimischen Bevölkerung stieß, um so mehr wütete sie gegen diese atemberaubende Schönheit, die so gar nicht nach ihrem Gottesbild war.
Unsre Fantasie ersetzt das Zerstörte, Fehlende. Wir sind ergriffen und stehen staunend vor einer Welt, die versunken ist, und dennoch können wir sie in uns lebendig fühlen.