Morgenlandreise 58

Auf der Dwarka nach Bombay

Der Mond stand gestern nacht fast senkrecht im Zenit, Sterne bis zum Horizont leuchtend klar. Die Sonne löste sich auf in Orange. Ein Franzose, ein Engländer, zwei Schweizer sind meine Kojenmitbewohner. Zwei Doppelhochbetten, ein einzelnes, das ich für mich kapern konnte. So sieht die Einrichtung für die weniger betuchten Reisenden aus. Auch der Blick aufs Meer ist uns verwehrt. So stehn oder sitzen wir die halbe Nacht an der Rehling.

Die Passagiere des Zwischendecks müssen am Maschinenraum vorbei, wenn sie zum Eßraum wollen. Starke Faszination geht vom Maschinenraum aus. Ich kann nicht daran vorbeigehn, ohne stehn zu bleiben und die Schönheit dieses künstlichen Herzens zu bewundern. Die hochsteigende Wärme, die stampfenden, saugenden Bewegungen der Kolben, der Geruch von Ölen und Fetten, das alles vereinigt sich zu einem sinfonischen Fest. Erinnerungen an expressionistische Filme schieben sich vor meine Augen, an Fritz Langs Metropolis und Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin.


Am Wendekreis des Krebses auf der Arabischen See

Die Matrosen kommen aus allen Herren Ländern, viele sind Inder, der Kapitän ist Engländer. Und weil ich mich zu gern mal auf der Brücke eines großen Schiffs umschaun wollte, sprach ich ihn an. Er sagte: Ich bin auf dem Weg dorthin, kommen Sie mit.

Die Dwarka ist ein ziemlich großer Pott, ich war noch nie auf einem so großen Schiff, einem Überseedampfer. Der Kapitän freute sich an meiner Neugierde und Bewunderung. Das Meer adelt. Das Meer macht frei. Das waren so meine inneren Juchzer, die Juchzer einer Landratte. Ich, sagte der Kapitän, wäre ohne die See verloren.

Die Bewegung, der Atem des Wassers teilt sich mit, du bist angeschlossen an einen Pulsschlag, der das Herz weitet. Wir durchkreuzen den Wendekreis des Krebses.
36 Stunden lang große offene See.

 

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