Die Grenzpolizisten auf der iranischen Seite konnten sich kaum fassen als ich daherkam. Seit Monaten gab es keinen Verkehr mehr zwischen den Fronten, beteuerten sie mir. Sie sprachen ausgezeichnet englisch, boten mir einen Kaffee an, und ich setzte mich für einige Minuten zu ihnen an einen runden Tisch. Sie waren geschniegelt wie französische Gardeoffiziere. Als ich eintrat, zogen einige ihre hochglanzpolierten Stiefel von der Tischkante.
Sie merkten bald, daß ich nicht willens und fähig war, von meinen Tagen im Irak zu berichten, und nachdem ich erfahren hatte, der nächste Bus nach Khorramshar hinein gehe erst in 3 Stunden, legte ich mich auf eine Bank und schlief, meinen Seesack im Nacken, bald wieder ein.
Shalamcheh heißt die iranische Grenzstation bei Khorramshar.
Der Irak steckte mir noch als Schrecken in den Knochen. Auf der Bank liegend hatte ich, noch bevor ich einschlief, einen Wachtraum. Von geldgierigen, krummbeinigen Unterteufeln. Sie gehören selbst unter den Teufeln zum Geschmeiß. Jeder lauert darauf, den andern übers Ohr zu hauen. Ich sah das Ufer des Tigris, der manchmal einem jauchigen Abwasserkanal gleicht. Ein Mädchen hockte in seinem schwarzen Gewand hinter einem Bottich, woraus es sich vorbei schiebenden armen Schluckern Suppe mit Bohnen drin ausschenkte. Magisch wurd ich dort hingezogen, zu verweilen scheute ich.
In Basra ist der Tigris eine Kloake, besonders in den Seitenkanälen. Der gesamte Unrat der Welt treibt in diesem Schlickwasser, tote Hunde, Katzen, alle möglichen Kadaver. Ich sah Jungen in dieses Dreckwasser Angelfäden werfen. Das können keine Fische sein, die sie dort herausziehen. Das müssen feuerspeiende, beißende, kratzende Lemuren sein.
Ich spazierte durch ein Bild von Hieronymus Bosch: Höllenabgründe und darin ein menschliches Gesicht. Das Mädchen sah mich an: Euphrat und Tigris, Babylon, Ninive. Feuer fällt vom Himmel, der Tigris wird schwarz vor Blut, ein Drache steigt aus seinen Tiefen. Sein Rücken ist gepanzert mit toten erloschenen Augen, unter seinen Rippen fault das Getier von Jahrtausenden. Die Leute, Taxifahrer, Händler, Krüppel, Polizisten, Frauen, Kinder, sie alle sind gebannt. Obwohl ihre Augen verklebt sind mit Fliegen und sie den Drachen nicht sehen können, sie wittern ihn, wie Schakale das Aas. Sie rufen: Ja, du bist unser König.
Harun ist tot, und niemand findet sich, der den Drachen tötet. Und wieder, für hundert Jahre, bleibt das Mädchen unerlöst.