Morgenlandreise 17

Das Hotel Ur erwies sich als der verkommene Prachtkasten, den ich gern hätte meiden wollen. Aber mein Zimmer hatte ein eignes Bad, und das war ein himmlisches Geschenk nach all meinen verschwitzten und verstaubten Tagen. In der Nacht fühlte ich mich ausgeruht und sorglos, nach einem Schlaf bis Mitternacht, über mir ein Ventilator, groß wie die Propeller eines mittelgroßen Flugzeugs (im Sommer muß es hier tropische Hitze haben). Die Stunden bis in den frühen Morgen verbrachte ich dösend und schreibend. Angefangen hatte ich ein Märchen, während der Zugfahrt, im Kopf. Ich weiß jetzt wie es Gefangenen geht, die sich durch geistige Arbeit fit halten.

Als Harun ar Raschid älter und älter wurde, bekam er mehr und mehr die Begabung, die Geschehnisse in ihrer Wesenheit zu erfahren. Manchmal zog es ihn auf die Straßen seines Landes, nur um zu schauen. Alles sah er da: das Kleine und das Große, das Böse und das Gute, das Fröhliche und das Traurige. Wie er sich eines Tags wieder so herumtrieb, in alten abgetragnen Kleidern, weil ihn dann keiner als den Herrscher erkannte, hielt ein Fuhrmann sein Gespann neben ihm an. He, Alter, rief er Harun zu, wenn du magst, steig auf. Harun sagte sich, warum nicht? und stieg auf.

Harun ar Raschid, als er sich den Fuhrmann näher anschaute, erkannte, ihm werde eine große entscheidende Wende bevorstehen, weder als Glück noch als Unglück.


Hārūn ar-Raschīd, Miniatur aus Tausendundeine Nacht

Sie waren eine Strecke unterwegs, als sie an einem Baum vorbei fuhren. Ein Ast, vom Sturm geknickt, löste sich und fiel schwer herab, dicht neben den alten Bauern, der sehr erschrak. Harun hatte es kommen sehen und den Alten im letzten Augenblick so an sich gezogen, daß ihm nichts geschah. Harun sah genau, was dem Mann geschehen würde, aber er war ein Mensch und für diesen Augenblick schwach. Er wollte es abwenden, was die Menschen ein Unglück nennen.

Sie fuhren weiter. Eine Horde Halbwüchsiger kam daher, sie bewarfen sich übermütig mit allerhand Gegenständen. Ein Stein, der daherschwirrte, hätte den Alten treffen können, hätte Harun ihn nicht beiseite gezogen. Der Alte wurde blaß und ärgerlich. Du bringst mir kein Glück. Steig ab, ich will alleine weiterfahren. Besser ist’s, dachte Harun, was kann ich schon ausrichten. Er sah den Mann an mit seinen sehenden Augen, er hatte ihn gern und er wußte, was geschehen würde.

Der alte Bauer fuhr seines Wegs weiter, allein. Harun ging und sah die Dinge der Welt gerade so gut zufuß wie vom Wagen herab. Nach ein paar Minuten bemerkte er eine Menschenmenge aufgeregt um einen Karren stehn. Es war der seines Alten von vorhin. Der Karren hatte ein Rad verloren und war umgekippt. Neben dem Wagen auf der Straße lag der tote Fuhrmann. Auf seinem Gesicht war ein Lächeln und Harun lächelte zurück.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert