Es gibt sie noch – die Lichtblicke mitten im Corona-Frust, wo sich der von Politikwillkür und Behördenversagen geplagte Zeitgenosse erholen und wieder Hoffnung schöpfen kann. Einer dieser Lichtblicke ist das Globe Berlin, ein ganz besonderes Theaterprojekt. Nach eigener Aussage möchten die Betreiber zu einem kulturellen Höhepunkt Berlins werden.
Das ist ihnen voll und ganz gelungen. Sie bieten Theater vom Feinsten. Bis zum Wiederaufbau des hölzernen Theaterhauses bespielt das Globe-Ensemble ein aus hölzernen Versatzstücken des künftigen Baus zusammengesetzten offenen Ort, dessen kreisförmiger Innenraum eine unmittelbare Verbindung zwischen Schauspielern und Publikum herstellt. Das funktioniert so gut, wie im nachgebauten Globe aus Shakespeares Zeiten in London, nur ist es noch intimer, unmittelbarer.
Wenn die Zuschauer den Innenraum betreten, sitzt Maria Stuart (Wiebke Acion), ganz in leuchtendes Blau gehüllt auf einem hölzernen Podest, das an ein Schafott erinnert, summt vor sich hin und schreibt in ein Heft. Die Stühle der ersten Reihe sind nicht mehr als zwei Meter von der Bühne entfernt. Zusätzlich hat der Bühnenbildner (Thomas Lorenz Hertig) am Rand Stege aufgestellt, die kreisförmig um den Zuschauerraum angeordnet sind. Von dort kommen, wenn das Drama beginnt, die Herren Mortimer, der Kerkermeister (Benjamin Krüger) und Graf Leicester (Anselm Lipgens) als das nahende Unheil. Angedeutet wird das nur, indem sie rhythmisch auf ihre Rüstung klopfen, zeitgemäß aus Plastik nachgebildet. Noch wiegt sich die schottische Königin in scheinbarer Sicherheit. Das Gericht, vor das sie gestellt wurde, bestand nicht aus Personen ihresgleichen. Eine Königin kann nur von einer Königin gerichtet werden, glaubt sie. Das ihre Gegenspielerin Elisabeth (Saskia von Winterfeld) sagen könnte „Ihr Leben ist mein Tod, ihr Tod mein Leben“, übersteigt Marias Vorstellungsvermögen. Vor den Augen der Zuschauer entfaltet sich die ganze Härte des Dramas um politische Intrigen, Machtkampf, Irrtümer, abruptem Seitenwechsel, Verrat, menschlicher Schwäche und Wahnvorstellungen.
Schillers Stück wurde für diese Aufführung neu gefasst und auf vier Personen reduziert, was den Konflikt verdichtet und verdeutlicht. Die Regisseurin verzichtet auf alle Mätzchen und Knalleffekte, technische Raffinesse ist sowieso nicht möglich.
Die magische Wirkung der Vorstellung, die das Publikum von Anfang an in ihren Bann zieht und bis zum Schluss nicht mehr loslässt, beruht allein auf Schillers Wortgewalt und der hohen Darstellungskunst der vier Akteure auf der Bühne. Einen der vier hervorzuheben, vermag ich nicht. Sie haben alle die leider etwas leisen Bravos während des Schlussapplauses mehr als verdient.
Wenn es nach der Pause dunkel wird und der Halbmond der Szenerie zusätzlichen Reiz verleiht, gibt es nichts mehr, das dieses Theatererlebnis noch steigern könnte. Tatsächlich ist gelungen, was sich die Akteure vorgenommen hatten; wie in Shakespeares Zeiten, die darstellende Kunst in direktem Kontakt zu erfahren. Was Globe bietet, ist tatsächlich echtes Volkstheater. Dies zu erleben, tut der Seele gut.
Also: wer sich etwas Gutes tun und gleichzeitig dem um sein Überleben spielendes Projekt Unterstützung zukommen lassen möchte, sollte sich nach Berlin-Charlottenburg aufmachen. Das Globe spielt bis zum 18. September. Maria Stuart gibt es erst am 9., 10., 16., und 17. September wieder. Aber vorher kann man „Romeo und Julia“ oder Shakespeares „Sturm“ erleben, die, ich wage es zu sagen, obwohl ich diese Stücke noch nicht gesehen habe, von ähnlicher Qualität sein werden. Es gibt aber auch Lesungen am Montag und die „Swinging Hermlins“ am Dienstag.
Das vollständige Programm finden Sie hier: https://globe.berlin/index.php/spielplan-tickets
In diesen Corona-Zeiten sind wir alle aufgefordert, uns zum gesellschaftlichen Stellenwert von Kunst und Kultur zu positionieren, wie es Christian Leonhard in seinem Geleitwort im Programmheft formuliert. „Wo wir gehen und stehen, kann künstlerische Schaffenskraft zur Lebensqualität beitragen und man darf behaupten […] dass wir geistig, emotional und seelisch ärmer wären, wenn es keine Konzerte, Opern, Ausstellungen, Lesungen, Kleinkunstauftritte, Tanzveranstaltungen und keine Theateraufführungen mehr gäbe“.
Wir dürfen nicht zulassen, dass „Andere darüber entscheiden wollen, ob wie, wo und was wir leben relevant sei“. Es ist an uns, das unmissverständlich klar zu machen!