Kulinarische Seitenhiebe

Als Gastronomiekritiker war ich vor Tafeln in Garachico nie hervorgetreten, da ich wenig esse und mir aus Nahrung nicht viel mache; dass es manchmal verteufelt gut schmeckt, ist kein Widerspruch. Essen ist dennoch lebensnotwendig, obendrein ist es ein kulturelles Phänomen, und man kann nicht umhin zu bemerken, dass es heute einen unverhältnismäßig großen Stellenwert einnimmt.

In Deutschland und in anderen Ländern (Frankreich, Spanien, Italien) wird seit gewiss zehn Jahren auf allen Fernsehkanälen ausgiebig gekocht. Viele Menschen wenden viel Energie darauf, ihre Mitmenschen kulinarisch zu verwöhnen. Culina war die lateinische Küche, der Herd und das Essen, und im Italienischen wurde die Küche dann zu cucina. (Italiener und Spanier würden kulinarisch übrigens mit gerümpfter Nase hören, denn culo ist da das Hinterteil. Man sagt che culo, wenn einer Dusel hat, oder ein Spanier nennt einen hinterhältigen Menschen ein cara de culo, Arschgesicht).

Die Starköche werden zu Genies hochgeschrieben. Früher gab es den weiß gekleideten Mystiker, und Mark Twain trug stets einen weißen Anzug, Tom Wolfe später auch – heute ist die weiße Leitfigur der Sternekoch. In Filmen wird dem genialen jungen und gutaussehenden Asiaten gehuldigt (Der Koch; Mrs Mallory und der Geschmack nach Curry), der mit leichthändig produzierten Gerichten Frauen fast zum Orgasmus bringt; die Verbindung Essen und Erotik schwingt immer mit, im Koch ist sie Hauptthema, und so liegt der Verdacht nicht weit, dass in einer Welt, die Erotik in die Werbung und ins Fernsehen abgeschoben hat, das Essen und Kochen brachliegendes Sinnliches befriedigt, über die Bedürfnisse des Gaumens hinaus.

Manfred Poser - Kulinarische Seitenhiebe 1

Hohe Kochkunst

Wie Fußball und Hollywood ist das Kochen der Triumph des Effekts und des Schauspiels über den Geist. Jeder kann sich auf diesem Feld mit Fleiß und etwas Intuition Kompetenzen erwerben, ohne dazu größere Geistesgaben nötig zu haben; das ist entscheidend, denn diese materialistische Gesellschaft verabscheut natürlich den Geist oder misstraut ihm.

Kochen ist konkrete Zuwendung (Liebe geht durch den Magen) und ein Akt der Schöpfung für jedermann. Und die Leute sind beschäftigt: mit dem Einkauf und der Umsetzung von Rezepten. Es gehört heute zum guten Ton, etwas über italienische Weine oder französische Esskultur zu wissen, damit gehört man dazu, und man besucht Kochkurse und Ernährungsseminare (statt solche über die Philosophie des Mittelalters oder die Soziologie der Arbeit), um immer besser zu werden und innerkulturell Punkte zu machen.

Es ist also Arbeit am eigenen Ich, betrachtet am Idealfall des Alchemisten der Renaissance, der durch komplizierte Verfahren Stoffe ineinander übergehen ließ und dabei auch an seiner Seele arbeitete, wenngleich Fachleute betonen, es sei durchaus um die Gewinnung von Gold gegangen, die Arbeit an der Seele sei bloß ein Nebeneffekt gewesen. An jeder Tätigkeit kann man wachsen, jede kann einen zur Reifung führen. Doch ich glaube nicht, dass das in der heutigen Kochkunst irgendeine Rolle spielt, und der Begriff Kochkunst ist ohnedies fragwürdig und vielsagend.

Fortsetzung folgt.

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