Einige Lokale wirken so, als rechneten die Besitzer jederzeit mit einem Überfall. Sie sind anders als Wohnungen: praktisch und gesichtslos. Zuhause will man ein höchst individualisiertes Inneres, das die eigene kostbare Persönlichkeit abbildet, aber Gästen will man das nicht zumuten. Nehmen wir Da Mimmo am Katharinenberg in Landsberg am Lech: Ist ganz sparsam italienisch ausstaffiert, es könnte innerhalb eines Tages zu einem türkischen oder pakistanischen Restaurant umgebaut werden. Man manifestiert sich nicht; man hat Angst. Erinnert an diese Schweizer Orte mit dem Migros und ein paar viereckigen Häusern, die keiner Epoche anzugehören scheinen. Man merkt nur, dass diese Leute nichts glauben, höchstens an ihre Pension. Die Individuen heute sind ganz flach geworden. Sie zeigen kein Profil, oder sie zeigen es, wenn sie es haben, nur ihren engsten Freunden.
Mittels abstrakter Ölgemälde zeigen sie gern Profil. Ach, diese abstrakten Bilder in Wohnungen und Restaurants! Sie sind meistens schauerlich, und an ihnen zeigt sich die Stillosigkeit ihrer Bewohner. Es ist entweder kitschige Abstraktkunst oder schlechte Kunst. Diese Kunst hat nur Signalcharakter: Ich gehe mit der Zeit (auch wenn seit Jahrzehnten Bürger weltweit mit dem Malen von abstrakten Bildern Ausstellungen in Sparkassen füllen). Ohne es zu wissen, sagen sie aber auch: Ich habe keine Ahnung und keinen Geschmack.
Das Bräustüberl, der Gasthof mit Hotel, in dem ich mich aufhielt, bietet anders als früher jetzt »bessere« Gerichte an, die auch mehr kosten, und Teller waren wie überall etwas unrund, und in der Innenstadt haben die angeschicksten Cafés überhand genommen.
Nichts ist mehr einfach, alles überfeinert. Allen spielt man vor, sie seien bessere Leute, man lullt sie mit gut klingenden Kreationen ein, schmiert ihnen Honig um den Mund. Es soll Geld verdient werden, das steckt dahinter. Es ist schwer, ein Lokal zu finden, das noch so ist, wie es ist, ohne Brimborium und ohne diesen aufgesetzten Schick. Es eröffnen heute auch kaum mehr Deutsche eine Kneipe, hört man. Ist ihnen wohl zu anstrengend. Man steht viel herum und hat einen geringen Stundenlohn.
Da herrscht ein Hauch von Heuchelei. Rauchen darf man auch nicht mehr. Oberbayern ist natürlich eine besonders geordnete Region. Da denke ich mit Freude an einen Aufenthalt in Singen am Hohentwiel, wo man düstere Bierschwemmen finden konnte und alte Rockkneipen und wo beim Spanier in einem Hinterzimmer zwei Dutzend Leute lärmten für hundert. Wo das Geld die einzige Währung ist, geht die Identität leicht verloren. Das merkt man ja auch in Südtirol.
Man könnte natürlich auch dem Affen Zucker geben und das (Alt-)Bayerische vor sich hertragen, wenn die Touristen das wollen. Das wäre auch Heuchelei, indessen wäre es Schauspielkunst und, wenngleich erzwungen, ein Festhalten an den Traditionen. Schlimm aber ist dieser Dünkel, diese Großmannssucht. Man macht Oberbayern zu einem Parkett für Blasierte. Jeder darf heute alles sein, jeder ist ein potenzieller Star. Kriegt geflüstert den weißen Teller mit dem Schweinemedaillon an Knödelchen mit choucroute alsacienne. Voher eine amuse bouche, Gruß aus der Küche.
Allerhöchste Kochkunst
Die Schweizer mosern zwar vor sich hin, akzeptieren aber ihr Image und geben resigniert, zuweilen auch couragiert, weil sie Traditionalisten sind, den Schweizer. Der Bayer aber hält sich für einen Weltbürger und möchte gern an vorderster Front mitspielen (wie es dem FC Bayern gelungen ist), und er mag’s gern sauber und gepflegt, weshalb es ihm vielleicht nicht unlieb ist, die alten Traditionen beiseite zu fegen. Das mir san mir ist nichts mehr wert.
Dabei reisen alle rastlos herum auf der Suche nach dem Authentischen, ohne zu begreifen, dass ihre Suche zum Verschwinden des Authentischen beiträgt, denn der Tourist lebt von den kulturellen Differenzen und zehrt sie schließlich auf. »Kulturelle« Begegnungen verändern beide Teile, die Begegneten jedoch mehr als die ihnen Begegnenden, die fremde Länder konsumieren wie fremde Speisen: schnell rein und kaum verdaut wieder raus. Frühere terroristische Horden ließen Orte als rauchende Stätten zurück, heutige touristische Horden verändern sie indessen auch, unmerklich, bis diese Orte nach Jahren genauso zurückbleiben: leblos und bedeutungslos.
Ende