Kulinarische Seitenhiebe 2. Folge

Die schlimmsten Verirrungen hat die kulinarische Welt mit Nouvelle cuisine und der makrobiotischen Küche weitgehend hinter sich. Aber der Dünkel beherrscht sie. Es geht nicht ums gut essen, sondern um den schönen Klang der benannten Gerichte und die Wirkung aufs Auge. Aber weshalb sollte es beim Kochen besser sein als im Rest der zivilisierten Welt, die laut Tom Wolfes Roman ein Fegefeuer der Eitelkeiten ist? Das hat mich davon abgelenkt, was ich eigentlich erzählen wollte. In Landsberg am Lech kam ich mit einem Emigranten ins Gespräch, der aus Achern bei Baden-Baden nach Oberbayern gezogen war, um sich zwei Jahre in einer Ingenieurfirma zu verdingen. Er zeigte sich enttäuscht über die Küche: Er habe mehr oberbayerische Gerichte erwartet, mehr Schweinebraten und Grillwürste, Sauerkraut und Knödeln.

Da darf er weitersuchen. Es ist bedauerlich, dass solch ein Land mit einer derart starken Identität und hohen Sympathiewerten weltweit, das obendrein reich genug ist, um Selbstbewusstsein zeigen zu können, vor dem internationalen Zeitgeist einknickt. Derlei Phänomene sind kollektiv, und das beste Beispiel ist der Mohren am Landsberger Hauptplatz. Da konnte man Jahrzehnte ordentlich bayerisch essen, innen war es dunkel, und es hingen sogar noch bayerische Devotionalien, ausgestopfte Tiere und Bilder, die noch Franz Josef Strauß zeigten, der ja mal Landrat in Landsberg war, nach dem Krieg. Hätte so bleiben können.

Manfred Poser - Kulinarische Seitenhiebe 2

Höchste Kochkunst

Früher blieb das auch so. Die »Stube« war die, die sie war. Bauernhausmuseen zeigen sie. Bei den Enkeln herrschten dann neue Möbel vor. Auch die Patrizierhäuser waren ein Jahrhundert immergleich eingerichtet. Heute, inmitten fieberhafter Produktion, werden Trends gesetzt und verkauft, und man vergisst, dass Materialismus erst einmal gekonnte Einwirkung auf die Psyche ist, also Manipulation des Geistes durch den Geist. Das »kann man nicht mehr sehen«: deshalb neue Möbel. Die Einrichtung wird zum Abbild einer Zeit, nicht mehr des Bewohners; und warum sollte die Einrichtung überhaupt den Bewohner widerspiegeln? Wer sagt das?

Vor drei oder fünf Jahren jedenfalls renovierte man den Mohren, weißelte die Wände und nahm die alten Bilder von den Wänden. Der Argentinier oder Slowenier, der bedient, trägt Lederhos’n, aber die wäre auch für einen Landsberger eine irgendwie fremde Kleidung. Nun ist es da nicht mehr gemütlich, es ist halt wie überall. Das Zederbräu nebenan hatte schon lange vorher den Platz geräumt. Es gibt noch Biergärten, aber die sind auch wie überall.

Fortsetzung folgt.

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2 Antworten zu Kulinarische Seitenhiebe 2. Folge

  1. Uschi sagt:

    “hätte so bleiben können” – dann gäbe es keinen Fortschritt!
    Was das angesprochene Lokal betrifft: Vielleicht hat der Besitzer gewechselt und dachte seiner Umgebung “ein neues Gesicht ” zu geben – wie überall wenn etwas Neues entsteht. Ob besser, das sei dahingestellt. LG Uschi

  2. Rolf Hannes sagt:

    Lieber Manfred,

    ich kann Dir nur beipflichten. Die meisten Neuerungen sind Verhunzungen. Und was den neuen Geschmack angeht (öfters auch bei den Speisen), so sind sie eher Geschmacklosigkeiten als Wohlgeschmack. Wenn die Fotos Große und Höchste Kochkunst zeigen, so sind unsre Leser hoffentlich so gewitzt, das satirisch zu verstehen.

    Mir fällt der erste Abend in Emden ein, wo meine Frau und ich vor einer Weile Ferien machten. Nachdem wir uns im Hotel eingerichtet hatten, wollten wir abends zünftig essen gehen. Wir sind stundenlang kreuzdiequer durch die Stadt gelaufen, fragten überall nach einem Lokal, wo es friesische Gerichte gibt. Wir begegneten spanischen Restaurants, jugoslawischen, griechischen, Pizzerien, Pizzerien, Pizzerien. Alle innen von der gleichen Scheußlichkeit. Einmal war ich so infahrt, ich sagte: Wir kommen doch nicht aus Freiburg um in Friesland spanisch oder griechisch zu essen, Herrschaftszeiten, gibt’s denn hier kein Lokal mit Hering oder sowas? Nach 2 Stunden gaben wir’s auf.

    In den folgenden Tagen, bei unseren Erkundungen durchs Land, haben wir friesische Gerichte entdeckt, besonders die Art des Teetrinkens, die wahrlich eine großartige Zeremonie des Teetrinkens ist, was uns mit vielem versöhnt hat. Aber die größeren Orte sind verwüstet durch Gleichmacherei, Welscherei und Touristenfraß.

    Servus
    Rolf

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