Karl Heinz Schellenberg

Es gab einen älteren Herrn, etwas klapprigen Gestells, mittelgroß, schütteren grauen Haars, der stand auf allen wichtigen Kunstereignissen Münchens herum, ganz gewiß bei Auktionen: Weinmüller, Karl & Faber, Ruef, Ketterer. Sein Gesicht hatte die rosige Haut eines Äpfelchens, schon etwas ältlich, dennoch glatt und rosig. Die Augen darin waren blaue, wäßrige, runde Sternchen, die seinem stetigen Lächeln etwas Überlegenes, Gescheites, Unverschämtes verliehen. Wenn ich ihn beobachtete, wie er mit anderen beisammenstand, wußte ich sofort, daß er sie beherrschte, mit seinem Wissen, mit seinem Witz.

Als ich ihn kennenlernte, bestätigte er genau meine Vermutung. Es gab kaum jemanden, der sich besser ausgekannt hätte in Kunst und Literatur. Schellenberg war der Sammler par exellence, sein Wissen profund. Aber es häuften sich bei ihm keine Schätze an, weil er bald weiterverkaufen mußte. Er verkörperte das Paradox eines Sammlers ohne Sammlung. Es fehlte an ererbtem oder erschwindeltem Reichtum. Seine Wohnungen waren dürftig und klein. Er war ein unbehauster Junggeselle, der häufig umzog. Mit den Jahren wurde sein Spott und Witz schärfer, bissiger. Er war, recht betrachtet, ein großer Zyniker, aber wie oft bei zynischen Menschen, von erlesenen, geradezu altmodischen Umgangsformen.

Meine Beobachtung ist, der wahre Zynismus, der jedes und alles mit beißendem, ätzendem Spott und Witz bedenkt, erfordert gewissermaßen ein Gefäß der vollendeten Lebensart. Es ist das notwendige Korrektiv, ohne das er sich selbst aufzehrte. Es hat die Funktion der Schleimhaut des Magens, ohne die sich der Magen selbstverdaute.

Schellenberg kannte einen Zinnfigurengießer am Ammersee. Den überredete er, nach seinen, Schellenbergs Vorlagen, Figuren zu gießen. Aus diesen baute er Dioramen, oft höchst gelante unanständige Szenen: Ludwig den Vierzehnten unter seinen Gespielinnen im Hirschpark, den nackten Casanova als Lustobjekt zwischen den maskierten Prinzessinnen des versailler Hofs. Auch vor de Sads Ausschweifungen machte er nicht halt. Mir schenkte er ein Kästchen, in dem der Kampf der Lydier gegen die Amazonen zu bestaunen ist. Schellenberg bekannte, nichts an seinen Dioramen sei erfunden oder übertrieben. Meine Szenen sind historisch exakt und verbürgt, sagte er. Für die Hintergründe benutzte er, wenn es ging, alte Stiche. Wenn er ein wüstes Gelage im schwedischen Heer des Dreißigjährigen Kriegs konterfeite, so war ihm ein Stich von Merian oder der Schedelschen Weltchronik gerade recht für den Hintergrund

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