Kaffeefreuden

Zeichnung: Rolf Hannes

Guatemala, Brasil, Venezuela, Costa Rica oder lieber die Hausmischung? Jedes Mal lässt mich die Angestellte in der Kaffeebar im Hauptbahnhof in der gleichen Ratlosigkeit zurück. Guatemala soll anregend, Brasil kräftig, Venezuela ausgewogen, Costa Rica mild und die Hausmischung etwas von allem sein.

Wie nun beginne ich diesen Tag am besten: anregend, kräftig, ausgewogen, mild? Ich kann die Frage nicht schnell genug beantworten, und das Lächeln, das die Angestellte mir jeden Morgen schenkt, seit sie mich als Stammkunden sieht, weicht einem leicht genervten Gesichtsausdruck. Sie nimmt einen Becher, stellt ihn unter die große rote Maschine und will den Knopf „Hausmischung“ drücken. „Einen Moment“, unterbreche ich, um die letzte Gelegenheit für eine eigene Entscheidung zu nutzen.

Die Hausmischung, denke ich, warum eigentlich nicht, schließlich ist von allem etwas darin, und jeder kann sich jenen Teil aus der Zusammensetzung herausschmecken, der ihm gefällt. Dabei hege ich seit geraumer Zeit einen schlimmen Verdacht: Was, wenn hinter den unzähligen Knöpfen der großen roten Maschine immer dasselbe Kaffeepulver steckt? Was, wenn die Unterschiede nur auf jenem Phänomen beruhen, das man Placebo-Effekt nennt? Denn ehrlich gesagt habe ich bisher noch keinen Unterschied zwischen den Sorten herausschmecken können. Das aber – zugegeben – mag auch an meinem unterentwickelten Geschmackssinn in Sachen Kaffee liegen.

„Costa Rica“ sage ich schließlich und beobachtete, wie die Angestellte die entsprechende Taste drücken will. „Nein, warten Sie: Doch lieber Brasil“, korrigiere ich und ziehe mir ungeduldige Blicke und Äußerungen der hinter mir Wartenden zu. Die Angestellte schickt ein Lächeln in die Runde, ich lese Nachsicht, beinahe Mitleid daraus. Sie kennt das schon. Immerhin ist es nicht mehr so schlimm wie zu Beginn, als mich oft erst die bevorstehende Abfahrt meines Zuges zu einer Entscheidung drängte. Ich werde immer schneller, geübter, und eines Tages wird man keinen Unterschied mehr feststellen zwischen mir und den anderen Kunden, die alle immer sofort wissen, was sie wollen.

Die nennen Kaffeesorte und Größe des Bechers mit einer Entschlossenheit, dass es wie die erste wichtige und richtige Entscheidung des Tages klingt. Ich hege keinen Zweifel, dass ihr Arbeitstag genau so weitergehen wird: als Abfolge wichtiger und richtiger Entscheidungen, von der Einstellung oder Entlassung von Mitarbeitern, über die Höhe der zu tätigenden Investitionen, bis hin zur Wahl von Menü 1, 2 oder 3 mittags in der Kantine.

Und mein Tag? Auch ich werde mich um Entscheidungen bemühen, werde mir Mühe geben, sie richtig und wichtig klingen zu lassen, selbst wenn ich sie im stillen für austauschbar halte und ich manchmal den Verdacht nicht los werde, dass wir alle von großen roten Maschinen umgeben sind, aus denen immer dasselbe Pulver kommt.

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