Jesiden

Von Boris Reitschuster

Was für eine Selbstentlarvung im Deutschen Bundestag: Ausgerechnet die selbsterklärte Vorkämpferin für alles Gute, für Buntheit, Offenheit und Toleranz und gegen die vermeintliche Diskriminierung von Minderheiten. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen und ihre Mitstreiter im Kulturkampf, konnten es nicht ertragen, dass eine Gruppe von Jesiden auf der Besuchertribüne am Donnerstag im Reichstag der AfD vehement Beifall klatschte. Und zwar für eine Rede des Abgeordneten Martin Sichert in der Debatte um den Völkermord an der ethnisch-religiösen Gruppe mit etwa einer Million Angehörigen, die hauptsächlich im nördlichen Irak, in Nordsyrien und in der südöstlichen Türkei ansässig ist. Sichert hatte dabei heftige Kritik an der Bundesregierung und den Grünen geübt und warf diesen einen Schmusekurs mit den Islamisten vor – unter denen auch die Jesiden leiden.

Mehrere Parlamentarier forderten mit hasserfüllter Stimme schreiend, Angehörige der verfolgten Minderheit aus dem hohen Haus zu werfen. Aus den Reihen der Parteien, die sich für besonders bunt und tolerant halten, kam es „zu wüsten Schreianfällen“, wie die „JF“ die Einlagen nennt: „Göring-Eckardt hatte Mühe, die Situation zu beruhigen, schloß sich den Drohungen allerdings an.“ Die „JF“-Kollegen fragen zu recht: Ist den Grünen im Präsidium und bei ihren Partei- und Haltungsfreunden das Schicksal der von Islamisten brutal unterdrückten und versklavten Minderheit egal?

Zwar ist es Gästen untersagt auf der Besuchertribüne im Reichstag zu klatschen. Allerdings ist dieser Applaus offenbar nach Ansicht vieler Abgeordneter dann zulässig, wenn er für die „richtige“ Seite erfolgt. Als die Jesiden auf der Tribüne für Redner aus anderen Parteien ihren Beifall bekundeten, stieß sich daran niemand. Anzusehen ist die Szene und auch die Rede Sicherts hier auf meinem Youtube-Kanal (Mit dem Journalismus-Gütesiegel von Youtube – für Werbezwecke nicht geeignet.)

Der Abgeordnete, der selbst mit einer Jesidin verheiratet ist, zeigte sich im Gespräch mit der „JF“ entsetzt über den Vorfall: „Katrin Göring-Eckardt und den Grünen ist die Unterdrückung der Debatte über die radikal-islamischen Täter wichtiger als der Respekt vor den Opfern des Völkermords. Ich bin fassungslos, wie schnell die Grünen ihre Fassade der Anteilnahme für die Opfer fallenließen.“

In meinen Augen zeigt die Szene sehr gut, wie groß die Realitäts-Allergie vieler Politiker inzwischen ist. Ich musste bei den Bildern an mein Interview mit Antonín Brousek, einem Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses, denken. Er bezeichnete das Hohe Haus als „Mischung aus Irrenhaus und Mädchen-Lyzeum“. Die (Un-)Sitten in der Volksvertretung gehen laut Brousek so weit, dass Abgeordnete von Rot-Rot-Grün sich demonstrativ auf den Boden setzten, als der tschechische Botschafter Antworten gab, die ihnen politisch nicht ins Konzept passten. Brouseks Fazit: Eine inhaltliche Auseinandersetzung finde nicht mehr statt, es werde nonverbal kommuniziert, unter der Gürtellinie: „Die Leute sind infantil, aber es ist auch eine Art der Aggression, die dahintersteckt.“ Das Interview mit Brousek finden Sie hier, den Artikel dazu hier.

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