Hope im Zug

Der Frühling hält Einzug. Die Knospen platzen auf. Hope riecht noch den Flieder von dem kurzen Weg durch den Park zum Bahnhof. Menschengewimmel ohne Wintermäntel, Schweiß mit Deo überdeckt, schwacher Geruch nach Erbrochenem.

Hope wählt einen nicht so zugigen Platz, winkt ihrem Liebsten, ihre Armreifen klirren. Die Welt der anderen. Hope wünscht sich die früheren geschlossenen Zugabteile zurück. Sie verteilt ihre großen Taschen, den leichten Trench auf die drei anderen Sitze und runzelt selbst die Stirn über ihren Kreuzzug gegen die Mitreisenden.

Oft sitzen sie unter dem Taschentuchbaum im Vögelipark in Winterthur. Chinesen nennen diesen besonderen Baum, dessen Blüten nach dem Abfallen an weggeworfene Taschentücher erinnern, den Wiedersehensbaum. Hope putzt sich die Nase und denkt trotzig, Wiedersehensbaum, nicht Abschiedsbaum. Sie ist auf Felix-Entzug. Den nacktgeleckten Lippen von den Abschiedsküssen trägt sie zügig ihren Lippenstift auf und verweigert sich einem männlichen Blick. Kein Zugeständnis, der Mann schaut zu Boden, ein staubiger Rückzug, Hope versucht in groben Zügen ihre Projektskizze auf dem Laptop zu entwerfen.

Ein Charakterzug: sie lenkt sich gern durch Arbeit ab. Ich mache mir die Welt wie sie mir gefällt, denkt Hope und wirft einen Blick auf den Aufzug einer ganz jungen Frau, die ungerührt Hopes Trench auf ihre Taschen wirft und sich ihr gegenüber setzt. Eine Pippi Langstrumpf, nur sind die Haare rosa. Sie ist höchstens sechzehn: schwarze Strumpfhosen, löcherig, und die Knie schimmern wie Monde heraus, die Ohren zugestöpselt.

Sabine Meisel - Hope im Zug

Zeichnung: Rolf Hannes

Hope nimmt einen Zug aus ihrer Wasserflasche während der Schnellzug über eine Weiche hopst und ihren Schluck verschüttet. Der Lippenstift ist verschmiert, sie reibt mit dem Taschentuch an ihrer nassen Brust herum. Die Brust spannt, die Bluse klafft. Die Klappe des Mülleimers klemmt, aber schließlich öffnet er sein modriges Maul, die Nase schnuppert gammeliges Obst und schales Bier.

Hope ruft den Schatz an, obwohl sie im Ruheabteil sitzt, aber das mit der Ruhe nimmt sie nicht so ernst. Unverzüglich trifft sie der Blick ihres Schräggegenübers, diese groben Gesichtszüge, stinkend nach Altmännerrasierwasser, sie stoppt beim zweiten Besetztzeichen. Sie streckt ihm die Zunge heraus, ganz verstohlen, mit Blick zum Fenster. Tippt ein sms und küsst die glatte Fläche. Pippi grinst. Die Zugdurchsage kündigt wieder einmal eine Verspätung an, während der Zugführer Hopes Fahrkarte entwertet, klackert sein Gebiss. Sein Atem, das Mundwasser ist unterlegt mit Marlboro. Hope schaut auf ihre Entschleunigungsuhr. Es ist Acht schreibt die Uhr an ihrem Handgelenk in Leuchtbuchstaben. Sie sitzt in einem Fernzug, nicht in einem Bummelzug. Der in eilender Geschwindigkeit an den Gebirgszügen vorbeirasen sollte. Vor ein paar Wochen waren sie auf der Zugspitze. Felix macht immer Klimmzüge zur Fitness, aber sie lagen nur im Bett trotz Zugspitze. Das Panorama im Mond und Sonnenschein genügte. Der Siegeszug von Sex gegen Sport. Diese ständigen Trennungen. Der Vollzug ihrer Ehe nur am Wochenende. Dieser blöde Bummelzug. Sie würde wieder zu spät kommen.

Die Entschleunigungsuhr mahnt. Die Nase wittert den Geruch von Veilchen und Blut, eine Blondine stakst im Mini über den Gang zum WC. Die Tür öffnet sich und weht Uringerüche zu ihr herüber. Bei der gemeinsamen Wohnung hatte sie oft auf Durchzug geachtet. Auf dem Nebengleis kommt ein Regionalzug entgegen. Eindeutig stand sie nun unter Zugzwang. Da musste sie wohl langsam planen: Umzug, Zuzug nach Winterthur. Wann war die Zugspitze gewesen? Hope rechnet sieben Wochen. Noch ein Einzug vor ihrem Umzug? Stopft sich den Notfallriegel in den Mund. Schmatzt vor Glück. Einer ihrer Wesenszüge: sie freut sich über Veränderung. Hope.

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Eine Antwort zu Hope im Zug

  1. Lieber Rolf! Ein Wunder, diese Hope! Felix ist zu beneiden. Viele Grüße Manfred Poser.

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