Heinrich von Kleist 1801, Gemälde von Peter Friedel
Während er sich einige Monate in Paris aufhielt, schrieb Kleist am 16. August 1801:
Verrath, Mord und Diebstahl sind hier ganz unbedeutende Dinge, deren Nachricht niemanden afficiert. Ein Ehebruch des Vaters mit der Tochter, des Sohnes mit der Mutter, ein Todtschlag unter Freunden und Anverwandten sind Dinge, dont on a eu d’exemple, und die der Nachbar kaum des Anhörens würdigt. Kürzlich wurden einer Frau 50 000 Rth. (Reichsthaler) gestohlen, fast täglich fallen Mordthaten vor, ja vor einigen Tagen starb eine ganze Familie an der Vergiftung; aber das Alles ist das langweiligste Ding von der Welt, bei deren Erzählung sich jedermann ennuyirt (langweilt). Auch ist es etwas ganz Gewöhnliches, einen todten Körper in der Seine oder auf der Straße zu finden. Ein solcher wird dann in einem an dem pont St. Michel dazu bestimmten Gewölbe geworfen, wo immer ein Haufe übereinander liegt, damit die Anverwandten, wenn ein Mitglied aus ihrer Mitte fehlt, hinkommen und es finden mögen.
Jedes Nationalfest kostet im Durchschnitt zehn Menschen das Leben. Das sieht man oft mit Gewißheit vorher, ohne darum dem Unglück vorzubeugen. Bei dem Friedensfest am 14. Juli stieg in der Nacht ein Ballon mit einem eisernen Reifen in die Höhe, an welchem ein Feuerwerk befestigt war, das in der Luft abbrennen, und dann den Ballon entzünden sollte. Das Schauspiel war schön, aber es war voraus zu sehn, daß wenn der Ballon in Feuer aufgegangen war, der Reifen auf ein Feld fallen würde, das vollgepfropft von Menschen war. Aber ein Menschenleben ist hier ein Ding, von welchem man 800 000 Exemplare hat – der Ballon stieg, der Reifen fiel, ein Paar schlug er todt, weiter war es nichts.
Fortsetzung folgt.