Alexander Wallasch: Grüne und FDP teilen gegen Robert Koch-Institut aus. Selbstzerfleischung: Corona-Einheit der Etablierten bröckelt.
Was ist davon zu halten, wenn sich Politiker der beiden Ampelparteien Grüne und FDP jetzt, viele Tage nach der Bundestagswahl, aus der Deckung wagen und mit einer Kritik am Robert Koch-Institut (RKI) klingen wie Querdenker oder andere Corona-Kritiker?
Das ist schon kurios, wenn hier wie aus heiterem Himmel das RKI wegen Regierungsnähe und einer schlampigen Arbeit ihres Präsidenten Lothar Wieler aus unvermuteter Ecke angegriffen wird. Bis vor den Wahlen war davon nämlich nichts zu hören.
Was allerdings darauf hindeuten könnte, die Diffamierungen der Kritiker der Corona-Maßnahmen der Bundesregierung waren besonders wirkungsvoll.
Worum geht es? Das RKI hatte die Zahlen der bereits geimpften Erwachsenen-bevölkerung spürbar nach oben korrigiert und von einem Anteil mindestens einmal Geimpfter von bis zu 84 Prozent und einem Anteil vollständig Geimpfter von bis zu 80 Prozent gesprochen.
Zuvor hieß es allerdings noch, bei den Erwachsenen gäbe es eine Impfquote von 79,1 Prozent für mindestens einmal Geimpfte und 75,4 Prozent für vollständig Geimpfte. Also eine Differenz von etwa fünf Prozent. Die allerdings wurde zuvor in etwa als Ziel ausgegeben, das mit Impfkampagnen zu Erreichen angestrebt sei, um die Corona-Maßnahmen zu beenden.
Jetzt ist das Robert-Koch-Institut (RKI) zwar dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt, aber das heißt ja nicht automatisch, Wissenschaft müsse hier zwangsläufig Erkenntnisse dem Regierungshandeln anpassen. Aber genau das ist auf einmal der Vorwurf einiger Politiker der Grünen und der FDP.
reitschuster.de hatte schon vor Tagen von den vom RKI viel zu niedrig angegebenen Zahlen der bereits einfach oder zweifach geimpften Bürger berichtet.
Offensichtlich lesen Politiker der etablierten Parteien reitschuster.de, aber trauen sich erst nach der Wahl, sich die gelesenen Fakten auch zu eigen zu machen und in Protest umzuwandeln.
Viel zu spät? Sicherlich. Aber es steht auch zu befürchten, solches Aufbegehren könne gegen etablierte Institutionen mit erfolgreicher Regierungsbildung auch schnell wieder verschwinden.
Beim RKI von Fehlereinsicht keine Spur
Zu den Details: Kritik am RKI geübt hat jetzt beispielsweise die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus gegenüber „Bild“-Zeitung. Und die Kritik der Bundestagsabgeordneten ist eine umfassende: Präsident Wieler sei „zu nah dran an der Linie der Bundesregierung“. Und angesichts dessen, dass das RKI die Korrektur der Impfquote noch als Erfolg verkaufen wollte, sah die Politikerin beim RKI „von Fehlereinsicht keine Spur“.
Damit aber nicht genug, die Liberale kommentierte weiter: „Wir haben schon vor Monaten geahnt, die Impfrate werde zu niedrig ausgewiesen.“ Aber die Bundesregierung hätte dies stets bestritten. „Jetzt haben wir Oktober, und Herr Wieler korrigiert die Quote um fünf Prozent nach oben. Und es wird so getan, als wäre das ein Erfolg.“
Wo allerdings „vor Monaten“ der Protest der FDP geblieben ist, weiß Aschenberg-Dugnus nicht zu berichten. Stattdessen hatten sich auch Liberale dran beteiligt, Corona-Maßnahmen-Kritiker zu diffamieren.
Und als ginge es nun darum, eine für die Koalitionsverhandlungen (Ampel) hilfreiche Nähe von FDP und Grünen zu demonstrieren, meldete sich gleich noch der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek zu Wort: Andere Länder würden solche Probleme mit der Erfassung der Impfquote nicht kennen. Deutschland sei mal wieder überfordert. Janecek kritisierte zudem die Schulschließungen auf Betreiben von Lothar Wieler: „Das RKI hat einen Kurs mitgetragen, der auf Kinder als angebliche Infektionstreiber ein besonderes Augenmerk gelegt hat.“
Erwartbar meldete sich sofort auch der Gesundheitsexperte der SPD zu Wort, Karl Lauterbach hält Kritik an Wieler für „unangebracht“, erklärte er im ARD-„Bericht aus Berlin“. Und wie er das begründet, klingt so, wie Lauterbach schon seit über eineinhalb Jahren klingt: pseudoprophetisch-apokalyptisch. Es gebe derzeit Wichtigeres. „Wir sind in einer besonders vulnerablen Phase, wo es jederzeit wieder ein Aufflammen der vierten Welle geben könnte.“
Lauterbach hatte schon kurz nach Bekanntwerden der falschen Zahlen davon gesprochen, es dürfe jetzt trotzdem keine Rücknahme von Corona-Maßnahmen (Maskenpflicht) geben, weil man damit den Querdenkern in die Hände spielen würde. Die allerdings waren zu dem Zeitpunkt vom Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang schon umfassend unter Beobachtung, also kaltgestellt.
Wird die Kritik der Grünen und der FDP hier demnächst auch den Verfassungsschutz treffen, gab es auch hier dann rückblickend Irrtümer, die man erst jetzt und nach der Bundestagswahl benennen will? Wohl kaum, das Eisen dürfte zu heiß sein.
Wurde die Impfkampagne der Bundesregierung so flankiert?
Nochmal zur Erinnerung, um was es hier eigentlich geht. Das Robert Koch-Institut hatte eingestanden, man hätte bei der Berechnung der Impfquote versäumt, die Lücken bei den Meldungen mit einzubeziehen. Diese Lücken waren allerdings so gravierend, die tatsächliche Impfquote deutlich höher, dass die Begründung für Corona-Maßnahmen bzw. neue Maßnahmenforderungen rückwirkend hinfällig wurden.
Schlimmer noch: Der Verdacht müsste jetzt eigentlich vom RKI restlos ausgeräumt werden, Mit dieser Schlamperei sei nicht beabsichtigt gewesen, die wissentlich zu niedrige Quote beispielsweise in der Impfkampagne der Bundesregierung zu unterstützen.
reitschuster.de nahm die zentrale Begründung des RKI für die falschen Zahlen auf und schrieb: „Warum sollten gerade Betriebsärzte schlampig oder gar schlampiger melden als andere? Die Frage bleibt unbeantwortet.“ Jetzt haben sich auch die Betriebsärzte zu Wort gemeldet und den Verdacht unzureichender Impf-Meldungen zurückgewiesen.
Wolfgang Panter, Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte, sagte gegenüber der Augsburger Allgemeinen, sein Verband halte es für äußerst unrealistisch, dass nur die Hälfte der Betriebsärzte an das RKI gemeldet hätten. Und er meint auch zu wissen, warum das RKI das fälschlicherweise behaupten konnte: „Ein bedeutender Teil der Betriebsarztimpfungen tauchen in der Datenbank als normale Arztimpfungen auf.“
Die schlechte Leistung des Instituts mit Sitz in Berlin ist also möglicherweise noch umfassender. So umfassend, jetzt kritisieren Grüne und Liberale die Arbeit des RKI massiv auf ähnliche Weise, wie das schon viel früher Corona-Maßnahmen-Kritiker in der ganzen Bundesrepublik taten.
Viele von ihnen schweigen allerdings mittlerweile: Zu massiv waren die Diffamierungen und Diskreditierungen bis hin zu sozialer Ächtung und beruflichen Konsequenzen – diese haben die neuen Helden der Grünen und der FDP allerdings nicht zu befürchten. Sie bilden gerade die nächste Regierung.