Führt die WHO-Reform geradewegs in die Gesundheitsdiktatur?
Von Kai Rebmann
Bis vor wenigen Jahren machten die Grundrechte ihrem Namen noch alle Ehre, jedenfalls in den Ländern und Regionen der westlichen Welt, die sich Vorreiter der Demokratie nennen. Es waren Rechte, die grundsätzlich als unveräußerlich galten, auch und ganz besonders in Krisenzeiten. Dann kam die „Pandemie“ und die Grundrechte wurden unter anderem in Deutschland zu so etwas wie Empfehlungen für Schönwetter-Zeiten degradiert.
Und was die Regierungen bzw. Verfassungsgerichte dieser Welt können, das kann die WHO natürlich schon lange. Deshalb, und wohl nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus den letzten drei Jahren, arbeitet die Weltgesundheitsorganisation aktuell an einer Reform der International Health Regulations (IHR), wenn man so will, einer Art Verfassung der WHO und ihrer mehr als 190 Mitgliedsstaaten.
Nicht wenige Eckpunkte dieses Entwurfs, über den im Laufe des kommenden Jahres abgestimmt werden soll, hätten noch vor drei, vier Jahren keine Chance auf eine Mehrheit gehabt. Sehr wahrscheinlich hätte es die WHO nicht einmal gewagt, sie überhaupt vorzuschlagen. Doch die Zeiten haben sich geändert, und zwar sehr grundlegend.
Zu den harmloseren und mit ein bisschen Wohlwollen vielleicht sogar nachvollziehbaren Änderungen gehört die Neufassung von Artikel 13 IHR. Darin will sich die WHO zusichern lassen, dass sie im Falle eines zu erwartenden Versorgungsengpasses zuständig ist „für die Zuteilung von Gesundheitsprodukten, um einen gleichberechtigten Zugang der Bevölkerung aller Vertragsstaaten zu gewährleisten.“
Was unter „Gesundheitsprodukten“ zu verstehen ist, dürfte klar sein. Und wie gesagt, es gibt durchaus Argumente, mit denen sich eine solche Ermächtigung rechtfertigen ließe. Es soll bekanntlich Gesundheitsminister geben, die in einen wahren Kaufrausch verfallen sind und gleich Impfstoffe für die nächsten Generationen gebunkert haben, dabei aber scheinbar vergaßen, dass diese nur eine begrenzte Haltbarkeit haben. In mindestens einem Fall endete dieses blindwütige Horten von „Gesundheitsprodukten“ für den dafür Verantwortlichen sogar im Knast
Trotzdem muss man bei dem Gedanken an eine WHO, die über den Zugang zu Impfstoffen wacht, wie einst der sagenumwobene Zerberus über das Tor zur Unterwelt, nicht gleich lauthals „Hurra“ schreien. Oder ist es völlig abwegig, zu befürchten, die Verteilung von Impfstoffen könnte an wie auch immer geartete Bedingungen geknüpft werden? Selbst an solche, die mit der öffentlichen Gesundheit wenig bis nichts zu tun haben? Impfstoff nur noch gegen die Verpflichtung zu bestimmten Klimazielen bis hin zur CO₂-Neutralität ist dabei nur ein Gedanken-Experiment in diese Richtung.
Noch weitaus bedrohlicher klingen aber die Reformen, die der WHO gleich zu Beginn ihrer Verfassung vorschweben. In Artikel 2 IHR wird bisher ausdrücklich festgehalten, Verordnungen der WHO gegenüber dem Risiko für die öffentliche Gesundheit müssen „angemessen“ sein. Davon will die Weltgesundheitsorganisation jetzt aber nichts mehr wissen. Künftig sollen entsprechende Maßnahmen verordnet werden dürfen, um damit „allen Risiken, die sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken können“ zu begegnen.
Wer jetzt glaubt, dieser Passus sei etwas schwammig formuliert, liegt damit natürlich genau richtig. Zufall ist das sehr wahrscheinlich nicht. Mit ein bisschen Fantasie kann praktisch alles zum potenziellen Risiko für die Allgemeinheit hochstilisiert werden. Auch dazu ein Gedanken-Experiment, das in diesen Zeiten wohl nur auf den ersten Blick (zu) weit hergeholt erscheint: Fahrverbote in Innenstädten, zum Beispiel wegen einer aus Sicht der WHO zu hohen Feinstaub-Belastung.
Den ultimativen Vogel schießt die WHO aber mit der Neufassung von Artikel 3 IHR ab. Dort steht bisher ein Satz, der so oder so ähnlich formuliert in keinem Grundgesetz einer vernünftigen Demokratie fehlen darf: „Die Durchführung dieser Verordnungen erfolgt unter uneingeschränkter Achtung der Würde, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten.“
Das galt bis vor nicht allzu langer Zeit noch als etwas so Selbstverständliches, dass es wohl eher aus formalen Gründen überhaupt erwähnt wurde. Doch auch damit ist jetzt Schluss bzw. soll – wenn es nach der WHO geht – ab dem kommenden Jahr Schluss sein. Unglaublich, aber wahr: Die Begriffe „Würde“, „Menschenrechte“ und „Grundfreiheiten“ wurden in dem Entwurf zur IHR-Reform durch „Inklusion“, „Gleichheit“ und „Kohärenz“ ersetzt.
Man muss wohl kein böser Verschwörungstheoretiker sein, um spätestens an dieser Stelle Befürchtungen bezüglich einer globalen Gesundheitsdiktatur laut werden zu lassen. Die WHO verlangt von ihren Mitgliedsstaaten nicht weniger, als dass sie ihre bisher noch bewahrten nationalen Zuständigkeiten und die Grundrechte ihrer Bürger an der Garderobe des WHO-Hauptsitzes am Genfersee abgeben – und sich auf Gedeih und Verderb ausliefern.