Bis zum Äußersten
Sechseinhalb Milliarden Menschen beobachten diesen Kampf aus der Ferne, viele von ihnen wohl heimlich hoffend, dass Russland das Armdrücken gewinnt. Sie haben die Gier, die Habsucht und den Zynismus eines Westens kennengelernt, der seit Jahrhunderten von «Zivilisation», «Demokratie» und «Menschenrechten» spricht, die hehren Worte aber schnell vergißt, wenn es seinen Interessen dient. Sie sehen einen Westen, der die Verletzung der Meinungsfreiheit in Russland anprangert, aber die russischen Medien Sputnik und RT verbietet, soziale Netzwerke zensiert und Aufrufe zum Mord an Putin und russischen Soldaten auf Facebook und Instagram zulässt.
Von nun an sind beide Seiten in ihren bis zum Äußersten gehenden Positionen eingemauert: Indem Russland zuerst zog, gab es indirekt den USA recht, die Putins Kriegstreiberei anprangerten. Aber indem die USA einen Nachbarschaftsstreit und ein Sicherheitsproblem in einen globalen Krieg zur Vernichtung des russischen Feindes verwandelten, sind sie dabei, Putin recht zu geben, der in der feindseligen Haltung der Nato und der USA seit den 2000er Jahren eine tödliche Bedrohung für die Existenz seines Landes sah.
Niemand weiss, wie dieser Krieg enden wird, ob er jemals wirklich endet. Nur eines ist sicher: Der Preis, den wir dafür zahlen müssen, wird für alle Beteiligten hoch sein. Denn der Krieg schafft bei den einen wie bei den anderen die Vernunft ab. Er ruiniert die Besiegten, aber auch die Seelen der Sieger, wenn es überhaupt welche gibt und sie nach all dem noch eine Seele haben.
Guy Mettan ist Journalist und Großrat des Kantons Genf (früher CVP, heute parteilos). Er war Chefredaktor der Tribune de Genève und ist Autor des Buchs «Russie-Occident. Une guerre de mille ans».