Erst jüngst wurde in einer in der Zeitschrift Lancet veröffentlichten neuen Meta-Studie die Überlegenheit natürlicher Immunität bestätigt. In dieser Meta-Studie wurden 65 Studien zum Thema natürliche Immunität ausgewertet. Dort kam man zu dem Ergebnis, die durch eine Infektion erworbene Immunität sei viel robuster und hielte viel länger an als die Immunität nach zwei oder drei Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff. Die Studie zeigte, dass eine vorherige Corona-Infektion nach 10 Monaten einen Schutz von 78,6% gegen eine erneute Infektion mit den ursprünglichen Wuhan-, Alpha- oder Delta-Varianten und von 36,1% gegen Omikron bietet. Der Schutz vor schweren Erkrankungen blieb nach 10 Monaten bei allen Varianten bei etwa 90%.
Das Absurde an der Sache: Bereits bei Einführung von 2G/3G-Maßnahmen im Herbst 2021 war dies nach der eindeutigen Studienlage klar. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegten schon im Sommer/Herbst 2021 eine robuste natürliche Immunität von mindestens 10–12 Monaten nach einer durchgemachten COVID-Infektion. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) sprach im November 2021 auf seiner Homepage von „mindestens 6–10 Monaten“ natürlicher Immunität. Das Paul-Ehrlich-Institut ging im Januar 2022 davon aus, dass „Antikörper bis 430 Tage nach der Genesung von SARS-CoV-2 nachweisbar sind, ohne dass ein Endpunkt absehbar sei“. Mittlerweile gehen die aktuellen Studien zu diesem Thema sogar von ein bis zwei Jahren, wenn nicht sogar von einer lebenslangen effektiven Immunität aus.
Darüber hinaus galt es bereits Ende 2021 als anerkannt, von Genesenen ging keine höhere Übertragungsgefahr aus, als von Geimpften. Vielmehr sollte nach einigen dieser Studien die Viruslast im Rachen von COVID-Geimpften sogar höher sein. Im Oktober 2022 hatte eine Pfizer-Managerin im Rahmen einer Anhörung vor dem EU-Parlament vor laufender Kamera zugegeben, die COVID-Impfstoffe seien nie auf einen Übertragungsschutz hin geprüft worden. Auch in der empirischen Realität war dies zu beobachten: In den Krankenhäusern und Intensivstationen waren Anfang 2022 so gut wie keine Genesenen ohne COVID-Impfung anzutreffen, aber laut Wochenberichten des RKI überproportional viele COVID-Geimpfte (80–95%).
Bis heute gibt es von Seiten der Beteiligten weder eine öffentliche Entschuldigung für dieses Handeln noch eine Richtigstellung zu den damals zu Unrecht nicht berücksichtigten Erkenntnissen.
Wie konnte es dazu aber überhaupt kommen? Der Genesenenstatus wurde vom Gesetzgeber im Mai 2021 erstmals in das Gesetz eingeführt. Damals wurde der Genesenenstatus für sechs Monate gewährt; als genesen galt nur, wer seine COVID-Infektion per PCR-Test nachgewiesen hatte (§ 2 Nr. 5 SchAusnahmV). Laut Gesetzesbegründung hat sich der Gesetzgeber dabei auf insgesamt drei wissenschaftliche Studien bezogen. Diese hatten einen Untersuchungszeitraum von ca. sechs Monaten zugrunde gelegt und waren im Jahr 2020 durchgeführt worden. Sie kamen zu dem Ergebnis, nach einer durchgemachten Coronavirus-Infektion war eine stabile natürliche Immunität auch nach sechs Monaten gegeben. Einen längeren Zeitraum hatten die Studien jedoch auch nicht untersucht.
Der Gesetzgeber hätte die Vorschrift des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV also bei neuer Erkenntnislage zwingend anpassen müssen. Denn bei Grundrechtseinschränkungen hat der Gesetzgeber die Pflicht, diese ständig zu überprüfen und zu aktualisieren bzw. aufzuheben, wenn neue Erkenntnisse vorliegen. Dies ist auch in § 1 Abs. 2 IfSG verankert. Dort heißt es, die Corona-Maßnahmen sind am aktuellen Stand der Wissenschaft auszurichten. Die Evaluierung und Anpassung hat der Gesetzgeber jedoch schlicht unterlassen. Es wurden weder neue Studien berücksichtigt noch die Gesetzeslage hieran angepasst.
Im Januar 2022 wurde die Befugnis, die Dauer des Genesenenstatus und die Nachweismethode zu bestimmen, vom Gesetzgeber in einer Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV auf das RKI übertragen. Das RKI als die „wissenschaftliche Instanz“ wich von der eigenen früheren Bewertung und den bekannten zahlreichen Studien ab und senkte die Dauer des Genesenenstatus auf 90 Tage ab. Dabei zählen die ersten 28 Tage ab positivem PCR-Testergebnis nicht mit – unter dem Strich betrug der Genesenenstatus damit nur 68 Tage.
Das RKI begründete die Verkürzung des Genesenenstatus auf 90 Tage mit sechs Studien. Diese Studien beschäftigten sich mit einigen Themen, nur nicht mit dem der natürlichen Immunität nach einer durchgestandenen Corona-Infektion. In den vom RKI berücksichtigten Studien ging es vielmehr um die Schutzdauer von COVID-Impfungen. Sie zeigten, die durch die Impfung erworbene Immunität dreht nach zweifacher Impfung bei der Delta-Variante bereits nach sechs Monaten auf nahezu Null und sogar ins Negative und der Schutz durch den sogenannten Booster bei der damals vorherrschenden Omikron-Variante halte im Schnitt nur 40 Tage an. Die noch größere Absurdität dabei: Die Studien, die das Verpuffen der Booster-Impfung bei der Omikron-Variante nach kürzester Zeit belegten, wurden als Nachweis für die Verkürzung des Genesenenstatus zitiert.
Auch die Gerichte setzten dieser erkennbaren gesetzgeberischen Willkür kein Ende. Die Verkürzung des Genesenenstatus wurde zwar von einigen Verwaltungsgerichten im Februar/März 2022 gekippt. Sie stützten sich dabei jedoch lediglich auf formale und nicht inhaltliche Gründe. So wurde die Delegation des Gesetzgebers auf das RKI, die Zeitdauer und Nachweismethode des Genesenenstatus festzulegen, aufgrund eines Verstoßes gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz verworfen. Dieser Grundsatz besagt, die wesentlichen Entscheidungen bei Grundrechtseinschränkungen müssen vom Gesetzgeber selbst getroffen werden und dürfen nicht an die Verwaltung delegiert werden.
Einige Verwaltungsgerichte wiesen zwar im Rahmen ihrer Entscheidungen darauf hin, dass keiner (!) der vom RKI zitierten sechs Studien ein Nachweis für eine Verkürzung des Genesenenstatus zu entnehmen sei. So haben die Verwaltungsgerichte München (Beschluss vom 3.3.2022, Az.: M 26a E 22.678) und Osnabrück (Beschluss vom 04.02. 2022, Az.: 3B 4/22) beispielsweise in einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Februar/März 2022 festgestellt, „dass sich die vom RKI zitierten Studien überhaupt nicht mit der Dauer des Genesenenstatus befassen“, die Studien „keine wissenschaftliche Begründung für die Reduzierung des Genesenenstatus auf 90 Tage enthalten“, das Gericht „Zweifel an der Argumentation des RKI“ habe, die „fachliche Begründung unvollständig“ sei und das Gericht „keine vernünftige wissenschaftliche Erklärung für die unterschiedliche Risikobewertung bei Vollgeimpften (die vor längerer Zeit geimpft wurden) und Personen, die in den letzten drei Monaten von Covid genesen sind“ sehe. Die von den Verwaltungsgerichten getroffenen Entscheidungen galten jedoch nur für die jeweils klagenden Parteien. Trotz dieser vereinzelten Ausführungen haben es die Gerichte versäumt, den vom RKI festgelegten Genesenenstatus aus inhaltlichen Gründen zu verwerfen. Eine Steilvorlage für den Gesetzgeber, der die 90 Tage dann im März 2022 in ein Bundesgesetz (unter Behebung der formalen Mängel) aufnahm (§ 22a Abs. 2 IfSG) und die Delegation auf das RKI zur Behebung der formalen Mängel strich.
War Justitia nicht nur blind, sondern auch taub?
Aber dem nicht genug. Gerichte, denen die entscheidenden Fragen zum Genesenenstatus vorgelegt wurden, kamen zum Teil nicht einmal dem elementarsten Prüfungsauftrag der Kontrolle exekutiven Handelns nach. Ein extremer, aber sicherlich nicht einmaliger Vorgang betrifft das VG Würzburg (Urteil vom 04.08.2022, Az: W 8 K 22.107).
In dem dortigen Verfahren hatte ein Kläger auf Ausstellung eines Genesenennachweises geklagt. Die Infektion des Klägers lag sieben Monate zurück, er hatte aber immer noch einen hohen Antikörperspiegel. Der Kläger hatte in dem Verfahren umfassend vorgetragen und dabei zahlreiche Studien sowie die Stellungnahmen des RKI und der STIKO ausgewertet. Das VG Würzburg wies sein Begehren zunächst im einstweiligen Rechtsschutz (Beschluss vom 21. Dezember 2021, Az.; W 8 E 21.1606) mit der Begründung ab, die wissenschaftliche Situation sei unklar und der Kläger sich ja – wenn er infolge 2G-Maßnahmen nicht vom sozialen Leben ausgeschlossen sein wolle – einfach impfen lassen könne. Das Gericht berief sich zum Beleg der unklaren wissenschaftlichen Lage auf eine einzige (!) Studie, die auch von der Gesellschaft für Virologie immer wieder zitiert wurde. In dieser Studie heißt es, geimpfte Personen würden einen fünfmal besseren Schutz haben als genesene Personen. Wenn man die Studie jedoch weiter als die Überschrift liest, stellt sich heraus, in der Studie wurden die Antikörperspiegel von frisch geimpften Personen mit denen von genesenen Personen verglichen, deren Infektion 12 Monate zurücklag. Die Methodik und das Design der Studie waren also gänzlich ungeeignet, um einen besseren Schutz von Geimpften als Schlussfolgerung zuzulassen. Zudem zeigten die Anhänge der Studie, die Antikörperspiegel in beiden Gruppen sind nach 12 Monaten sehr ähnlich. Die Richter am Verwaltungsgericht Würzburg haben sich aber leider wohl nicht einmal die Mühe gemacht, die sechs Seiten lange Studie zu lesen.
Das Gericht stellte lapidar fest: „Auch die Vielzahl der vorgelegten Studien des Klägers vermag die Expertise des RKI nicht zu erschüttern.“ Dabei wurden die eigenen Aussagen des RKI nicht einmal vom Gericht zur Kenntnis genommen. Das Gericht hatte dabei auch übersehen, dass das RKI als weisungsabhängige Bundesbehörde nicht als neutraler Experte in Betracht kommen kann. Es untersteht den Weisungen des Bundesgesundheitsministeriums. Das Gericht hat damit eine Beweislastumkehr zu Lasten des Klägers vorgenommen, die es so im geltenden Verwaltungsrecht nicht gibt. Unklarheiten dürfen bei wesentlichen Grundrechtseinschränkungen nicht zu Lasten des Betroffenen gehen. Auch in dem Hauptsacheverfahren, indem eigentlich umfangreich zu prüfen gewesen wäre, ist – soweit ersichtlich – genauso verfahren worden. Der Vortrag des Klägers wurde schlichtweg ignoriert. Eine klare Verletzung rechtlichen Gehörs – wie in zahlreichen anderen Gerichtsverfahren zu Corona-Themen.
Die bewusste Ignoranz einer eindeutigen wissenschaftlichen Lage hat das Bundesverfassungsgericht in negativer Hinsicht noch überboten: In seiner Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht vom 27. April 2022 (BVerfG 1 BvR 2649/21, Rn. 201) hat das Gericht – obwohl der Genesenenstatus keine Bedeutung für das Verfahren hatte – die 90 Tage als angemessen bewertet. Es heißt dort: „Gesicherte Erkenntnisse, wonach die nach einer überstandenen Infektion bestehende Immunität auch über einen Zeitraum von 90 Tagen nach der zugrundeliegenden Testung hinaus fortbesteht, gibt es nicht.“ Zur Begründung wird wiederum allein das RKI zitiert. Über die Frage, warum das BVerfG zu diesem Thema in diesem Verfahren überhaupt Ausführungen gemacht hat, lässt sich nur spekulieren. Damals stand die Rechtmäßigkeit der Impfpflicht für Bundeswehrsoldaten zur Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) an. Vielleicht wollte man die spätere Entscheidung des BVerwG vorwegnehmen, indem man die rasch nachlassende Wirkung der COVID-Impfstoffe in der eigenen Entscheidung negierte.
Interessanterweise hat der Gesetzgeber dann im Sommer 2022 den Genesenenstatus und den Impfstatus auf 90 Tage gleichgezogen (§ 22a Abs. 2 IfSG). Dies gilt bis heute fort.
Leider ist die „Akte Genesenenstatus“ ein weiterer unrühmlicher Teil des Gesamtkomplexes Corona. Nicht nur ignoriert der Gesetzgeber konsequent wissenschaftliche Erkenntnisse, die dem eigenen politischen Narrativ widersprachen. Er hat es vielmehr bis heute unterlassen, den Genesenenstatus an die wissenschaftliche Realität anzupassen. Die Gerichte haben in weiten Teilen ihren verfassungsrechtlichen Prüfungsauftrag nicht ernstgenommen. Dazu hätte zwingend gehört, Aussagen des RKI kritisch auf Plausibilität und Richtigkeit zu überprüfen sowie ganz allgemein die Rolle des RKI und der STIKO als abhängige Bundesbehörden und gleichzeitige „unabhängige Experten“ kritisch in Verfahren zu würdigen.
Wie kann vor diesem Hintergrund eine Aufarbeitung des gesetzlichen und judikativen Unrechts gelingen? Eine klare Benennung aller fehlerhaften Maßnahmen des Gesetzgebers und Entscheidungen der Judikative können nur ein erster Anfang sein. Viel wichtiger ist es, die systematischen Mängel zu benennen, um ähnliche Auswüchse von Willkür in der Zukunft zu verhindern. Wünschenswert wäre daneben die Schaffung eines neuen Wiederaufnahme-Grundes in Verfahren, bei denen sich die Urteile innerhalb kürzester Zeit aufgrund von eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen als klare Fehlentscheidung herausgestellt haben. Auf diese Weise könnte noch einmal neu entschieden werden. Dies macht das erlittene Unrecht für die Betroffenen zwar nicht rückgängig, würde aber zumindest eine gewisse Rehabilitierung mit sich bringen. Das könnte ein zu begrüßender Mosaikstein im großen Bild der Wiedergutmachung und Aussöhnung nach drei verlorenen Corona-Jahren sein.