Freizügige Kleidung

Elternrat will lottrige und freizügige Kleidung an Schulen verbieten. Bald auch staatliche Eingriffe in die Kleidung?

Von Boris Reitschuster

Der Staat mischt sich immer weiter in private Anliegen der Menschen ein. Und nicht-staatliche Organisationen unterstützen ihn dabei, oder treiben ihn zur Jagd. So jetzt auch der Bundeselternrat. Der hat sich für eine Bekleidungsregel an Schulen ausgesprochen. „Wir empfehlen Schulen, einen Konsens über eine Kleiderordnung zu schließen“, sagte die Vorsitzende der Organisation, Christiane Gotte, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Gotte wünscht sich, ein entsprechender Konsens solle in die Hausordnungen der Schulen übernommen werden. So ließen sich Verstöße sanktionieren:  „Dann kann man Schülerinnen oder Schüler nach Hause schicken und verlangen, sie sollen sich ordentlich anziehen.“ Meist gehe es dabei um „unangemessene, lottrige, zerrissene oder freizügige Kleidung“.

Angeregt wurde der Vorstoß offenbar durch eine Initiative von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für eine Einheitskleidung an Schulen. Hintergrund sind Stimmen, die beklagen, die Kleidung vieler Schüler sei zu religiös. Insbesondere tragen Schülerinnen vermehrt Abajas: knöchellange Gewänder, die typisch sind für Frauen in islamischen Ländern.

Dass der Staat den Menschen und insbesondere Schülern vorschreibt, wie sie sich zu kleiden haben, gilt vielen Menschen in Deutschland als ein Auswuchs von autoritären Staaten. Das ist so nicht korrekt – denn auch in England hat die Schuluniform Tradition. Auch in den USA gibt es durchaus Vorschriften, wie die Schulkleidung auszusehen hat – auch wenn eine Schuluniform dort außerhalb von Privatschulen äußerst selten ist. So können in den US-Schulen etwa Textilien mit Aufschriften oder blickdurchlässige Stoffe ebenso untersagt werden wie allzu kurze Hosen oder Röcke.

Bundeselternrats-Chefin Gotte sagte in dem Interview, eine generelle Kleiderordnung an Schulen sei im föderalen System kaum durchsetzbar. Allerdings sähen vor allem Mütter einen Vorteil in Schulkleidung, weil sie die morgendlichen Diskussionen um angemessene Kleidung satt hätten. Anders als Gotte lehnt der Deutsche Lehrerverband laut dem Bericht der Funke-Zeitungen feste Regeln ab. „Wir sind in Deutschland aufgrund unserer Geschichte anders auf Freiheit ausgerichtet, auf Selbstbestimmung und Mündigkeit. Eine Formulierung zu finden, die festlegt, wie lang ein T-Shirt sein darf, ist kaum möglich. Das ging ja dann bis zu Zentimeterangaben“, sagte Verbandspräsident Stefan Düll. Klar sei aber auch: „Schule ist kein Strand und kein Club.“

Wo genau Düll da die Grenze zieht, bleibt unklar.

Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) ist gegen Schuluniformen und Einheitskleidung. Sie seien ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Eltern und Kindern. Das alte Argument, die Uniformen würden soziale Unterschiede ausbügeln, gelte nicht mehr, betont der stellvertretende Vorsitzende des VBE, Tomi Neckov: „Eine Zurschaustellung des elterlichen Verdienstes kann schließlich auch ohne Kleidung, beispielsweise über die Federtasche oder andere Utensilien, stattfinden.“ Zudem würden mit dem Einführen von Schuluniformen veraltete Rollenmuster befördert und Geschlechterunterschiede verstärkt.

Es gibt sicher viele Argumente gegen Einheitskleidung. Aber dass eine Schuluniform Geschlechterunterschiede verstärkt – auf die Idee muss man erst einmal kommen.

Bezeichnend ist an der ganzen Debatte in meinen Augen vor allem eines: In Frankreich wurde sie ausgelöst, weil man sich an zu religiösen Kleidern stört, die vor allem islamische Schülerinnen tragen. In Deutschland dagegen ist es umgekehrt: Bundeselternrats-Chefin Gotte hat offenbar nichts gegen religiöse Verhüllung – aber umgekehrt etwas gegen zu viel Freizügigkeit, die wieder strenggläubigen Moslems aufstoßen könnte. Denn sie wendet sich ja explizit gegen freizügige Kleidung. Dass man Mädchen diese verbietet, ist für islamische Gesellschaften typisch – für freiheitliche westliche dagegen problematisch.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Franzosen gegen zu viel islamische Traditionen in ihren Schulen vorgehen wollen – in Deutschland man dagegen offenbar mehr Rücksicht auf solche Traditionen nehmen will. Denn fast schon regelmäßig gibt es Vorstöße gegen allzu offene Kleidung für Mädchen mit dem Hinweis, das könne islamische Mitbürger befremden. Umgekehrt ist nicht bekannt, in islamischen Ländern würde zu weniger Verhüllung aufgerufen, weil sich Christen oder Juden durch diese befremdet fühlen könnten.

Interessant ist auch: in vielen Presseberichten ist in den Überschriften nur von einem Vorstoß gegen „lottrige“ Kleidung die Rede, und nur die ausdauernden und gründlichen Leser später im Kleingedruckten erfahren, auch „freizügige“ Kleidung ist im Visier. Soll da etwas dezent unter den Teppich gekehrt werden?

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