Fieber

Geschreddertes Licht, das sich auf deine Sätze legt, die, lichtgestreift nun, an Schwere verlieren, gerastert vom milchigen Weiß eines Trabanten, der stoisch die schütteren Häupter der Bäume durchlugt, der Wächter, aufgestellt Nacht für Nacht vor deinem Fenster, die Kronen hoch, erhoben ins Schwarz des Firmaments, dieser sieche Mond, den du anheulen wolltest noch vor ein paar Minuten, dein De profundis in die Nacht brüllen, diesem Kaltlicht entgegen und der Vermutung hinter diesem Licht, einer Leichtigkeit vielleicht, die dich zu Boden reißen würde, damit du endlich wieder aufstehen könntest, dich erheben aus dem zähen Brei dieser Nacht, diesem Sumpf von Uneindeutigkeiten, um danach auch deine Stimme zu erheben, endlich, nach all den hermetischen Gelübden, um alles zu sagen, alles, was dir schwer wie Steine auf der Zunge lag die ganze Zeit.

Oder du hast dich geirrt, du hast dich täuschen lassen und alles war ganz anders. Du selbst bist diese Sätze gewesen und hast dich auf die Fasern des Papiers legen lassen, bleischwer, von dem anderen, dem, der du vormals selbst auch warst, der du jetzt aber nicht mehr bist, von dem du dich gelöst hast in einem Akt der Verweigerung. Und so steht es nun auch geschrieben, so stehst du jetzt geschrieben, lichtgestreift von geschreddertem Mondlicht: Ich werde von dir gehen müssen, ich werde dich verlassen bei Nacht und Nebel wie ein viel zu bohrender Gedanke, der nie dein eigener war, der ich nicht war, der dir eingepflanzt wurde von noch ganz anderen, ein Störkraut, ein Krüppelbusch, der die ganze Zeit spricht, entflammt von einem fragwürdigen, falschen Feuer, der von Höllen und Gluten faselt, vor sich hinmurmelnd wie alte Betweiber im dumpfmodrig Schummrigen alter Gebetsgemäuer.

Vinzenz Fengler - FIEBER

Foto Erinnerung 14: Vinzenz Fengler

Ich werde weggehen von dir und nicht zurückkommen, weil du ein schlechter Gärtner warst, weil du dein Beet nicht sauberhalten konntest, hinter deiner Stirn, von diesem Unkraut, diesen Unworten, die nicht aus mir kamen und die ich nie war, diesen Traktaten und Manifesten, diesem Kanon von Eingeschärftem, dem fadenscheinig Gebotenen, janusköpfig, beweihräuchert, schuldkonzeptuell herumprozessierend, dem Zugeschriebenen, das die unschuldigen Wörter verschloß, nicht aufgehen ließ, die Wörter, die aus mir kamen, die ich war. Denn ich wollte aufgehen, ich wollte die Rinde durchbrechen, die Krume, den Grind, ich wollte werden, wollte Ausdruck sein, ich wollte ans Licht. Aber es war ganz anders. Du hast dich geirrt, hast dich verzettelt. Du hast mich geschrieben und kannst mich nicht lesen. Du erkennst mich nicht mehr und kannst dich an nichts erinnern. Du hast mich verloren für alle Zeit, einen Gedanken, der alles erklärt hätte, der aus dir heraus in dich gesprochen hätte, lichtgeweitet, somnambul, aber du bist in diesem Rausch aufgegangen, versunken in dieser milchweiß durchsetzten Nacht, die über dich kam oder die du dir ausgedacht hast, um zu entkommen einen Schlaf lang.

Was fehlt noch. Du erwachst vielleicht, kann sein aus einem zersägten Traum, und kannst die Teile nicht mehr zusammenfügen, grauverkatert, unfähig, die Gedanken zu ordnen, nachtversehrt und aufgerieben von einem fiebrigen Kampf, blinzelnd, wie beim Erblicken des ersten Lichts. Und du siehst, schemenhaft, den dir aus der Hand geglittenen Stift auf den Dielen liegen, dicht neben deinem Tisch, diffus bestrahlt von der ungelöschten Schreibtischlampe, ein Zeichen deines vergeblichen Aufsteigenwollens, am Boden geblieben, unfähig sich zu erheben, denkst du, irgendwie verletzt wie du selbst.

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