Gänsekielzeichnung: Rolf Hannes
Wieder einer dieser Tage. Du standst da, mit so einem unbestimmten Gesichtsausdruck, der alles und nichts heißen konnte. Ich wurde aus dir nicht schlau, wie üblich. Aber das gelingt mir ja oft nicht einmal bei mir selbst. Sicher, wir haben geredet, aber was war das schon? Wir sprangen von einer Floskel zur nächsten, verzweifelt am Eingang zu tieferen Gewässern pochend, doch wer sollte schon aufmachen, wenn nicht wir? Und wer sollte schon aufmachen, wo wir uns doch nicht einmal die Mühe gemacht haben, ordentlich nach dem Türgriff zu suchen. Nicht schon wieder, haben wir vermutlich beide gedacht. Ich zumindest.
Mit der Zeit schien selbst dein Gesicht einen leichten Grauton anzunehmen, dem melancholisch angehauchten Winterhimmel nachahmend. Und du hast gelächelt, als wäre alles in Ordnung. Als wäre hier nicht sogar die nächste Idee zu grau und zu trübe, um damit etwas anzufangen.
Du redest und ich frage mich, wann es angefangen hat. Das es so war, alles hier. Ich meine,irgendwann hat das Ganze doch seine Farben verloren, wie ausradiert. Mein Kopf auch, ist auch wie ausradiert, aber ich verspüre kaum Lust, ihn wieder zu füllen. Alles auf Anfang. Echt nicht. Wenn ich dich sehe, denke ich immer an frühere Zeiten. Sie waren vielleicht nicht besser, nur anders. Oder wir waren anders. Oder besser.
Wir waren auf der Suche nach diesem Einen, dem Großen, Ganzen, denn irgendwo musste das doch sein. Ich erinnere mich, wie ich meinte, es gefunden zu haben, wieder und wieder. Solange, bis selbst du dem Ganzen überdrüssig warst und das passierte zumindest damals noch nicht oft. Heute hast du selbst das Heute satt. Und vielleicht auch mich. Und vor allem dich. Ich weiß es, bei mir ist es ja genauso.
Vielleicht sollte ich dir das sagen. Aber ich bin einfach nicht mehr sicher, ob du mich hören kannst. Ob für dich nicht lange schon alle Stimmen dieser Welt zu einem vereinten monotonen Geräusch geworden sind, welches zwar lästig aber unvermeidbar ist. Du hast dich damit abgefunden. Und nicht nur damit. Ich auch. Habe es jedenfalls versucht. Es mir eingeredet. Es dir eingeredet, viel zu oft. Auch dessen bist du müde.
Wir sitzen also immer noch da, oder genau genommen stehst du da, denn einfach soHerumsitzen war ja noch nie dein Ding. Draußen fängt es leicht zu regnen an und die Tropfen an der Scheibe werfen linienförmige Schatten auf dein Gesicht. Der Sinn für die kleinen Dinge, die vielen Details, auch dem habe ich irgendwann abgeschworen. Soll der Regen doch laufen. Deine Augen betrachten etwas, das weit entfernt liegt. Ich frage mich, was es ist, habe so oft versucht, es auch zu sehen. Diese Ferne von dir. Du hast aufgehört zu reden und ich sehe dich an.
„Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, es zu sehen“, sage ich. „Ich weiß“, antwortest du in diesem ruhigen und sachlichen Tonfall.
Ich nicke unbestimmt. Ich schaue aus dem Fenster, hinaus in meine eigene Ferne. Auf deinem Gesicht zieht der Regen linienförmige Schatten.