Fassade

Zeichnung. Rolf Hannes

Der alte Mann konnte kaum gehen und hatte eine Wunde auf der Nase, eine Schrunde, blutig. Der Alkohol hatte ihn gezeichnet. Ich stand vorm Bankautomaten, hatte gerade meine Geheimzahl eingegeben, und der kleine alte Mann stand neben mir und bettelte mich an. Kleingeld. Ich zeigte ihm meine leere Geldbörse und er schimpfte über das Geld.

Schlimme Sache, sagte er, womit er wohl sich meinte. Ja, sagte ich, das mit dem Geld ist schon schlimm. Ich bin Künstler und muss von wenig Geld leben. I ah, sagte der Mann auf bayrisch und wenig überzeugend. Er sagte das, weil er mit seinem Rest Verstand glaubte, mit mir eine gewisse Solidarität herzustellen. Gleichzeitig stand ich vor dem schon etwas heruntergekommenen Alkoholiker, ich stand vor ihm in meiner feinen blauen Anzughose, mit einer Markenstrickjacke und schwarzer Lederjacke. Alle Klamotten von meiner Mutter, aber das wusste der Mann nicht. Also machte ich auf ihn nicht gerade den Eindruck eines besonders armen Menschen.

Dass ich kaum meine Miete zusammenkratzen, dass ich kaum das Unterhaltsgeld für meinen Sohn auftreiben kann, dass ich einfach nicht weiß, wie ich die nächsten Monate halbwegs unverschuldet überstehen werde, dass ich ohne das gelegentliche Geld, das mir meine auch nicht gerade reiche Mutter zuschiebt, nicht überleben könnte, all das wusste der alte Mann nicht. Gierig betrachtete er meine Geldbörse, und er stand ganz nah bei mir und beugte sich zu meiner Geldbörse, als ich die soeben gezogenen fünfzig Euro, in die Börse steckte.

An einer Tankstelle kaufte ich Zigaretten, und als mein Säufer wieder aufkreuzte, war ich froh um einiges Kleingeld. Ich gab ihm einen Euro.. Besonders dankbar war sein Gesichtsausdruck nicht, etwas geschmerzt sah er den Euro an, der auf seiner offenen Handfläche lag.

Zwei Prozent hab ich ihm gegeben, von den 50 Euro, und wenn ich das Zigarettengeld abziehe, sind es sogar fast drei Prozent meines Börseninhalts.

Schnell lief ich über die Straße und grüßte im Lauf eine junge Mutter und Nachbarin.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Ich sollte aufpassen, mich nicht zu sehr hinter meiner bürgerlichen Fassade zu verkriechen.

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