Erinnerung an mehr oder minder schöne Bücher

Das Bemühen um eine Befreiung der Erotik von Schlüpfrigkeiten führte zu einer kühlen und puristischen Erotik-Welle (Wikipedia)

Ich erinnere mich sogar noch an den Einband, dunkles Weinrot. An den Titel des Romans Airport ebenso, von Arthur Hailey. Ich habe den Roman nie gelesen. Er stand im väterlichen Bücherschrank, diesem dunklen massiven Wohnzimmerschrank, wo auch die beiden Porzellan-Leoparden standen. Ohne Sockel, was meinem Vater wichtig war. Ich habe meinen Vater jedoch nie mit einem Buch in der Hand gesehen. Zeitung ja, regelmäßig. Buch? Nie. Über Bücher geredet, allgemein, hat er viel. Meine Mutter dagegen: Viellesend. Träumerisch. Und wenn mein Vater auf Reisen war (er war viel auf Reisen als Handlungsvertreter), las meine Mutter, träumte. Über die Bücher, die sie da träumend las, geredet? Nie. Meine Poesie habe ich dennoch von ihr. Ich schließe die Augen, ich sehe die Leoparden, drohend, ich sehe das Buch, weinrot. Ich stehe allein im Wohnzimmer, fühle mich schuldig. Nicht sehr schuldig, nur so schuldig, um den Reiz noch zu erhöhen. Ich tat nichts Verbotenes, hatte nur Verbotenes im Sinn.

Mein Vater besaß nicht sehr viele Bücher. Den Klassiker aller Lebensratgeber Sorge dich nicht. Lebe!, den hatte er. Oder von Michael Burk So lange die Menschen noch lieben, doch der Titel enttäuschte, ich fand nie eine passable Stelle in dem Roman, oder auch Mario Simmel Es muss nicht immer Kaviar sein. Auch bei Simmel. Nichts gefunden.

Bernhard Horwatitsch - Erinnerung

Zeichnung: Rolf Hannes

Aber vielleicht war ich nicht gründlich genug. Denn die passendste Stelle, eine Stelle die ich unzählige Male gelesen habe, die fand ich in dem Buch Airport. Vermutlich zufällig. Denn – wie gesagt – gelesen habe ich den Roman nie, nur quer, mit gierigen Augen nach ganz bestimmten Stellen suchend. Warum ich ausgerechnet in diesem Buch die Stelle fand, die meine Phantasie nährte, und warum ich ausgerechnet in einem Buch mit einem so unerotischen Titel danach suchte? Das weiß ich wirklich nicht mehr. In dem Roman Airport wird eine Szene geschildert, wo der Held in ein Badezimmer kommt. Eine schöne Frau hat sich bereits ausgezogen und liegt in der mit Schaum bedeckten Badewanne, macht die Venus. Erotisch wird die Szene, weil sie ihn siezt. Das ist womöglich nur eine Zutat der Übersetzung, und damit ganz unfreiwillig erotisch. Sie siezt ihn, bittet ihn, in ihr Bad zu steigen. Er lässt sich nicht lange bitten, zieht sich aus, und als er an die Wanne herantritt, kommt die Stelle, die ich meine, und die mein erotischer Lebenstraum wurde. Sie küsste seine Spitze. Das ist alles. Nur dieser Satz. Unendliche Male gelesen. Wie harmlos. Heute, im Zeitalter von Juporndotkom – wie harmlos. Heute verhilft mir meine Erinnerung höchstens noch dazu, die Vergangenheit zu bedauern, und ein Gefühl zu konservieren, das längst schon aus der Realität verschwunden ist.

Sie küsste seine Spitze. Und dazu diente mir noch ein Bild aus einem Magazin, das ich im Müll der Nachbarschaft unter einem ganzen Stapel Zeitschriften, Modemagazinen, Tageszeitungen, Katalogen, fand. Es war ein Promi-Magazin, das heimlich aufgenommene Fotografien von Stars zeigte. Stars, die ich alle nicht kannte, damals noch nicht kannte und heute vielleicht nicht mehr. Ein Foto darin zeigt eine Frau, leicht verschwommen, an einem Swimmingpool auf einer Liege. Sie ist oben ohne, hat die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, trägt eine dunkle Sonnenbrille und vor allem trägt sie eine Baseballkappe. Sonnenbrille und Baseballkappe haben mich weit mehr elektrisiert, als die undeutlich zu sehenden Brüste der Frau. Sie ist braun gebrannt, so viel kann man erkennen. Die Brüste nur ganz verschwommen. Aber dass sie fast nackt ist, das ist deutlich erkennbar. Ein höchst voyeuristisches Bild. Dies und Sie küsste seine Spitze. Und wenn ich die väterlichen Leoparden aus meinem Geist verdrängen konnte, drohende, mich bewachende Leoparden, dann konnte ich aus diesem Satz und diesem Bild eine erotische Sehnsucht kompilieren, die noch heute Bestand hat. Dass ich inzwischen genug Abenteuer hatte, die alle Geheimnisse gelüftet haben, das spielt nicht die geringste Rolle. Die harmlose Kompilation hat in meinem Kopf seinen festen Platz. Wie ein Findling, von eiszeitlichen Moränen mitgeschleppt in den spätkapitalistischen Ausverkauf unserer sexuellen Gefühle.

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