Einsamer Westen: Stell Dir vor, es ist Krieg, und 90 Prozent machen nicht mit.
Der Westen wollte Russland isolieren. Nun ist es der Westen selbst, der isoliert dasteht. Gleichzeitig wächst Russlands und Chinas Einfluss in den Entwicklungsländern. Die USA verlieren zunehmend ihre Vormachtstellung. Seit der Ukraine-Invasion hat sich dieser Trend beschleunigt, wie westliche Studien nun belegen.
Gemeinsam aber einsam: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trifft US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus. Die USA und Europa ziehen an einem Strang, aber der große Rest der Welt macht nicht mit. APA/AFP/Mandel NGAN
Eine weltweit durchgeführte Untersuchung des von der EU finanzierten Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) trägt den bezeichnenden Titel: „Der Westen vereint, vom Rest getrennt: Die weltweite öffentliche Meinung ein Jahr nach Russlands Krieg gegen die Ukraine“. Die Kernaussage: Europa und die USA rücken immer näher aneinander, entfremden sich aber gleichzeitig zunehmend vom Rest der Welt.
EU-Studie: Wendepunkt hin zur Entstehung einer „post-westlichen“ Weltordnung.
Der Stellvertreterkrieg in der Ukraine markiere „die Entstehung der seit langem angekündigten post-westlichen internationalen Ordnung“. Sie ist durch den starken Wunsch nach einer gleichmäßigeren Verteilung der globalen Macht auf mehrere Länder gekennzeichnet – Multipolarität genannt. Selbst wenn die Ukraine den Krieg irgendwie gewinnen sollte, erklärt die Studie, sei es „höchst unwahrscheinlich“, dass eine liberale Weltordnung unter Führung der USA wiederhergestellt wird. Stattdessen „wird der Westen als ein Pol einer multipolaren Welt leben müssen“.
Der Westen konnte gemäß der Studie andere Großmächte wie China, Indien und die Türkei nicht von seiner eigenen Position überzeugen. Ein Großteil der Menschen dort ist der Meinung, dass Russland „stärker“ oder zumindest „genauso stark“ ist wie vor Beginn der Militäraktion vor mehr als einem Jahr. Sie sehen Moskau als strategischen „Verbündeten“ und „unverzichtbaren Partner“ für ihr Land. „Das Paradoxe am Krieg in der Ukraine ist, dass der Westen sowohl geeinter als auch weniger einflussreich in der Welt ist als je zuvor“, meint der Direktor des ECFR und Mitverfasser des Berichts, der britische Politikwissenschaftler und Autor Mark Leonard.