Eine Lebensgeschichte

Wenn ich an meine Jugend denke, kreisen meine Gedanken häufig um das Schicksal meiner Mutter. Der Erste Weltkrieg war noch nicht ausgestanden, als sie im Juli 1918 zur Welt kam. Vieles, was ihre innere und äußere Welt später verdüsterte, war sicherlich in den Wirren und Entbehrungen dieser Zeit begründet.

Nachdem ich geboren wurde, 1945, wiederum zu einer Zeit, da die Welt durch Chaos und Zerstörung gegangen war, hatte sie, die sich eigentlich eine Kariere in einem Büro erträumt hatte, zwei Kinder zu versorgen, meinen 4 Jahre älteren Bruder Peter und mich.

Mein Vater, als hervorragender Koch in der Gastronomie bekannt, hatte ein Restaurant in Alschwil bei Basel gepachtet. Und als meine Mutter empfand, ihre Söhne seien nun selbständig genug und um der häuslichen Eintönigkeit zu entfliehn, verlegte sie 1954 ihre Tage mehr und mehr ins Restaurant, um ihrem Mann dort zur Hand zu gehn. Und mehr und mehr konnte sie der Versuchung des Alkohols nicht widerstehn. Und mehr und mehr waren ihre Stunden im Restaurant, das Sonneck hieß, nicht voller Sonne, sondern voller Düsternis und Schatten, die sie vergeblich versuchte durch Schnaps aufzuhellen. Kräuter-Schnaps war ihr der liebste.

Statt von ihr als der Verena zu sprechen, sagten die Leute in ihrem Basler Dialekt: S’Krütervreneli. 1956 brach sie das erstemal zusammen.


Zeichnung: Kurt Meier

Schon sehr früh war ich ein Einzelgänger, Tiere schienen mir verläßlicher als Menschen. Eine Erinnerung hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben: Zwölfjährig schmiege ich mich öfters an eine im Stall ruhende Kuh. Ihre Wärme, ihre selbstverständliche Gegenwart durchströmte mich, und ich war glücklich. Diese Gelassenheit, diese Hingabe, ohne etwas zu wollen, nur Freundlichkeit.

Nach und nach floh ich aus der Familie wann immer sich eine Möglichkeit bot. Die Schule quälte mich, sie predigte Unterwerfung und stures Büffeln. Meine Lehrer, mein Vater, mein 4 Jahre älterer Bruder Peter, alle wollten von mir, mich einzuordnen in einer Weise, die mit meinem, meinem ureignen Leben nichts zu tun hatte.

Wird fortgesetzt.

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Eine Antwort zu Eine Lebensgeschichte

  1. Die Szene mit der Kuh, schön und wie traurig auch. Vergisst man nicht. Man vergisst aber, dass das Leben andauernd eine Heimsuchung ist mit kurzen friedlichen Abschnitten. Man will was vom Leben, aber vor allem wollen die anderen was von einem, und heute noch denke ich mir manchmal, wenn Post da ist: Lasst mich doch in Ruhe (lesen)! Viele Grüße Manfred Poser.

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