Eine Lebensgeschichte 3. Folge

So gut uns Uelis Riesengröße nach Genf gebracht hatte, so sehr mißtrauten die übrigen Franzosen der Möglichkeit, diesen Riesen unterbringen zu können in ihren feinen Karossen. So standen wir auf einmal 30 Kilometer nach Genf am Rand der Autobahn und merkten bald, niemand wollte uns in seinem Auto mitnehmen. Also gingen wir zufuß weiter an der Autobahn entlang in Richtung Lyon, bis wir erschöpft auf einem abgemähten Kornfeld ankamen. Dort wollten wir unser Zelt aufschlagen. Beide hatten wir keine Ahnung wie man ein Zelt aufbaut. In der lockeren Erde hielten die Heringe nicht, und als es nach anderthalb Stunden endlich stehen blieb, drückte sich Ueli als erster hinein. Er war noch nicht richtig drin, da krachte das ganze Zelt zusammen. Zu müde, um es erneut aufzubauen, wickelten wir uns in die Zeltbahnen wie in einen Schlafsack. Wären nicht die piksenden Stoppeln gewesen, hätten wir unsre erste Zeltnacht einigermaßen gut überstanden.

Ich hatte Zeit, ein wenig über Ueli nachzudenken. Er war nicht nur riesengroß, er war ein Riesentollpatsch. Bei seinen Besuchen in meinem Atelier ist vieles was er anfaßte, auf den Boden gefallen und manches dabei zerbrochen. Papier, das er anfaßte, zerknitterte. Den Schirm, den er bei seinem ersten Besuch dabei hatte, ging noch am gleichen Abend zubruch. Mich erinnerte er an Lennie in John Steinbecks Von Menschen und Mäusen, geistig allerdings war er ihm überlegen.

Am Morgen war uns das Glück hold. Eine Französin, die an uns vorbeigefahren war und wußte, wie unmöglich es ist, an der Autobahn einen Fahrer zu bewegen, uns mitzunehmen, kam zurück und brachte uns zur nächsten Nationalstraße, die nach Lyon führte. Vieles der Strecke liefen wir zufuß. Am späten Nachmittag kamen wir in einem Vorort von Lyon an, fanden einen Campingplatz und stellten in Rekordzeit das Zelt auf. Ueli stieg vorsichtig hinein und machte Platz für mich. Nach einer erquickenden Nacht wuschen wir uns an einem Brunnen in der Stadt.


Zeichnung: Kurt Meier

Ich stand am Brunnen, hatte mich gewaschen, und es wurde mir ganz flau in Bauch- und Magengegend. Zuerst vermutete ich, es liege am fehlenden Frühstück. Dem Brunnen gegenüber besorgten wir uns in einer Bäckerei frische Croissant und aßen sie auf dem Brunnenrand. Mein flaues Gefühl wurde nicht besser. Im Kopf schwirrten mir düstere Gedanken. Wie geht meine Mutter damit um, daß ihr Mann sie verlassen will.

Wird fortgesetzt.

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